Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
brauche ein Wannenbad zur Lockerung meiner Muskeln – und Sie können dann Feierabend machen“, bot er dem Studenten großzügig an.
René nickte geduldig und gab wortlos Gas. Das Date mit der Freundin hatte er bereits während der Warterei vor dem Club abgesagt und das Mädchen auf morgen vertröstet. Vielleicht zwingt der Rücken den Alten, der Kirche ein paar Tage fernzubleiben, hoffte er. Dann bestand für ihn eine kleine Chance, von Altmühls Gesellen etwas zu lernen und sich mit einer winzigen Aufgabe an der Restaurierung des Altarbilds zu beteiligen, so wie er es sich bei seiner Bewerbung um den Praktikumsplatz erhofft hatte.
Die abendliche Rushhour unterbrach seinen Gedankengang. Sie zwang den Studenten, stellenweise im Schritttempo zu fahren. Das ungeduldige Knurren seines Beifahrers überhörend, der ständig auf die Uhr sah, konzentrierte er sich auf den zäh fließenden Verkehr durch die Straßen der Hauptstadt. Als er endlich vor der Wohnung Altmühls angekommen war, sprang der hinaus und zerschlug Renès geheimen Wunsch mit den Worten: „Also dann bis morgen in der Kirche. Und seien Sie ja pünktlich!“
V
„Eene, meene, muh, und raus bist du.“ Myrtels Hand griff nach einer Flasche, die direkt vor ihrer Nase im Regal stand und auf deren Etikett ein Esel prangte. Sie betrachtete sie für einen Moment belustigt, dann legte sie sie in den Einkaufswagen.
„Eene, meene, miste, auch du kommst in die Kiste.“ Auf dem Etikett der nächsten war eine pralle, feucht schimmernde rote Traube abgebildet. Diese Flasche wanderte zu der anderen. Myrtel relativierte den Reim aus Kindertagen noch einige Male, bis sich ein halbes Dutzend Flaschen in ihrem Einkaufswagen befand und den mageren Einkauf dominierte. In Erinnerung an den leeren Kühlschrank zu Hause war sie nach Dienstschluss durch die Reihen des nahegelegenen Supermarktes gelaufen und hatte ziemlich wahllos in die Regale gegriffen: ein Brot, Tomaten, Blauschimmelkäse, Joghurt und Eier. Auf etwas Besonderes verspürte sie keinen Appetit, und zum Kochen hatte sie schon gar keine Lust. Für wen sollte sie sich auch Mühe geben? Für eine einzelne Person zu kochen war wie Sex ohne Partner.
„Hallo, Myrtel, na, das nenne ich einen Zufall, dich hier zu treffen!“
Bei diesem Gedanken ertappt ließ die Angesprochene die Hand sinken, die zu einer weiteren Flasche hatte greifen wollen. Errötend drehte sie sich um.
„Susie! Was machst du denn hier? Haben in eurem Kiez inzwischen alle Läden dicht gemacht?“, versuchte sie einen Scherz und reichte der Freundin zögernd die Hand. Statt sich über die unverhoffte Begegnung mit ihr zu freuen, war sie peinlich berührt, dass Susi sie so zu sehen bekam: erschöpft und abgekämpft vom harten Arbeitstag, dazu mit einem Einkauf, der für sich selbst sprach und Anlass zu Gerede bot. Eigentlich mochte sie Susi sehr, hatte sich mit ihr gut verstanden und zahllose kleinere und größere Probleme besprochen. Noch vor nicht allzu langer Zeit, als Dieter und sie oft im Haus der Angostinis in Falkensee zu Gast gewesen waren. Doch Susi war auch Karlos Frau – und Karlo der beste Kumpel ihres Mannes. Hatte sich Dieter nicht erst kürzlich von Karlo verleugnen lassen? Und Susi hatte sich ebenfalls rar gemacht, das jedenfalls war Myrtels Eindruck.
„Ganz so schlimm ist es nicht, aber bei euch gab es dieses Sonderangebot, das ich mir nicht entgehen lassen wollte“, lachte Susi auf und deutete auf ein Sortiment Wolle, Stricknadeln und Modezeitschriften von verschiedenen Firmen in ihrem Einkaufswagen. Dabei musterte sie Dieters Frau unauffällig. Die sah wirklich schlecht aus. Karlo hatte eine Bemerkung gemacht, dass deren Krankheit zurückgekehrt sei. Auf ihre Fragen, wie die beiden mit diesem Schicksalsschlag zurechtkämen, war er widerwillig damit herausgerückt, dass der Kumpel zu Hause ausgezogen sei und bei einer anderen Frau wohne. Zuerst darüber empört, hatte sie sich schließlich davon überzeugen lassen, dass diese Angelegenheit einzig und allein die Ragewitzens betraf und sie sich besser raushielten. Obwohl sie öfter daran gedacht hatte, sich bei Myrtel zu melden, war irgendwie immer etwas dazwischengekommen.
„Ach ja, ich erinnere mich, du strickst seit einiger Zeit. Und, wie erfolgreich bist du damit?“ Myrtel schob ihren Einkaufswagen ein Stückchen weiter, weg vom Regal mit den Spirituosen. Susi folgte ihr. Auf dem breiten Hauptgang des Supermarktes bot ein Promotions-Team Kaffee
Weitere Kostenlose Bücher