Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
Wind, auf den baufälligen Balkonen hing Wäsche und trocknete in der dunstverhangenen Sonne. Das sah nicht gerade aus wie ein nobler Vorort, in dem ein international anerkannter Spezialist seine Praxis hatte. Das sah nach einem Armenviertel aus, einem Banlieue – einer der französischen Zones Urbaines Sensibles .
Jack hinkte über einen Markt, der allerlei seltsames, für ihn undefinierbares Zeug größtenteils, aber vor allem Obst und Gemüse, Taschen und Schuhe anbot. Vor allem Afrikaner und Orientalen tummelten sich hier, Frauen und Männer, Jugendliche und Kinder. Es war laut, Musik und auch nur einzelne Rhythmen dröhnten durch die Betonbauten. Fremdländische, aromatische Gewürze und Benzin bestimmten den Geruch in der Luft.
War da doch irgendwas mit der Adresse falsch gelaufen, vielleicht ein Buchstabendreher?, fragte sich nun auch Jack. Er war sich plötzlich nicht mehr sicher, am richtigen Ort zu sein, und bereute, das Taxi fortgeschickt zu haben. Um auf Nummer Sicher zu gehen, wandte er sich an einen Afrikaner auf dem Markt, der gebrauchtes Spielzeug anpries.
„Ich suche diesen Mann“, sagte Jack nach einer kurzen Begrüßung und deutete auf den Namen des Arztes.
Der Angesprochene nickte sofort heftig. „Der Doktor ist da drüben. Sie können ihn nicht verfehlen“, erwiderte er. „Viel Glück!“, fügte er hinzu.
„Danke“, erwiderte Jack überrascht und ging in die beschriebene Richtung. Dann war er also doch richtig.
In der Mitte einer Straßengabelung befand sich eine ehemalige Klinik, von der jedoch nur noch die äußere Hülle existierte. Sie war offensichtlich seit mehreren Jahren nicht mehr in Betrieb. Die meisten Fenster waren herausgebrochen, die Wände mit Graffitis beschmiert. Von den Stufen, die zur offen stehenden Eingangstür führten, hatten sich große Teile verabschiedet und lagen zerbröckelt auf dem Boden.
Es herrschte nicht gerade ein reges Kommen und Gehen. Nur wenige Leute betraten und verließen die Ruine. Manche der Personen, die hineingingen, wirkten unglücklich und hatten schmerzverzerrte Gesichter. Zwei Mütter führten weinende Kinder an der Hand, eines davon trug den Arm und die Schulter bandagiert. Einem Mädchen fehlte das rechte Bein.
Immerhin sah es so aus, als gäbe es hier tatsächlich einen praktizierenden Arzt. Es schien also, als wäre Jack wirklich an der richtigen Adresse.
Vorsichtig stieg er die baufällige Treppe nach oben. Im Inneren angekommen sah er sich um. Decken bedeckten einen Teil des kalten Betonbodens, auf einigen lagen Obdachlose, auf anderen saßen junge Männer und rauchten Drogen. Dazwischen standen ein paar einsame Klappstühle und schienen auf Besucher zu warten.
Jack hinkte auf einen der Stühle zu und setzte sich. Um nicht in Versuchung zu geraten, die Menschen anzustarren, die ihn teils gleichgültig, teils verwundert betrachteten, beobachtete er, wie der Wind durch die kaputten Fenster wehte und Plastiktüten aufwirbelte.
Auf einmal öffnete sich eine Tür am anderen Ende des Raumes und ein junger, dunkelhäutiger Mann trat heraus. Er musterte die Anwesenden. Als sein Blick auf Jack fiel, runzelte er die Stirn.
„Hatten Sie angerufen?“, fragte er.
Jack erhob sich und ging auf ihn zu. „Ich bin Jack Logan. Ich habe einen Termin mit Doktor Benoit.“
Der Schwarze reichte ihm die Hand. „Ich bin Patrick Benoit. Kommen Sie rein.“
Jack blieb irritiert stehen. Das war der berühmte Arzt? Ein junger Kerl, im gleichen Alter wie er? Das konnte nicht sein.
„Entschuldigung, das ist sicher ein Irrtum“, sagte er und wollte sich abwenden, doch Benoit hielt ihn zurück.
„Lassen Sie sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen, Jack. Ich verstehe mein Handwerk. Ich habe Medizin studiert und war beim Militär, wo ich mit den schlimmsten Knochenverletzungen konfrontiert wurde, die ein Nobelarzt niemals zu sehen bekommt. Wenn Sie wirklich wissen wollen, ob Sie jemals wieder Sport treiben können, sollten Sie bleiben.“
Jack zögerte noch einen Moment, schließlich gab er nach und folgte dem Arzt in das Sprechzimmer, das genauso heruntergekommen aussah wie der Vorraum. Nur hingen hier Plastikfolien vor den Fenstern, um den Wind abzuhalten. Ein Tisch stand darin, außerdem sorgten mehrere starke Lampen für grelles Licht, in einem wackeligen Schrank befanden sich medizinische Gerätschaften.
„Ich weiß, es sieht nicht gerade einladend aus“, erklärte der junge Mediziner, „aber eine schicke Praxis will ich nicht. Wenn
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