Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
hatte extrem helle Haut und rötliche, fettige Haare. Seine Haut schuppte an mehreren Stellen, als würden ihr Licht und frische Luft fehlen. „Sie sollen meine Schmerzen im Knie lindern, keine neuen hinzufügen! Ich komme mir ja vor wie auf den elektrischen Stuhl geschnallt!“, murrte er.
Um den Schaden, den sie angerichtet hatte, zu begrenzen, setzte Myrtel ein energisches Gesicht auf. Sie musste den Patienten davon überzeugen, dass alles in Ordnung war und er lediglich unmännlich reagiert hatte. Etwas, das kein Vertreter des starken Geschlechts freiwillig zugab, und schon gar nicht öffentlich. Darin hatte sie, nicht nur durch ihre zweiundzwanzigjährige Ehe, reichlich Erfahrung.
„Aber, aber Herr Moosleitner, jetzt bin ich aber schwer enttäuscht von ihnen“, wandte sie sich scheinbar vorwurfsvoll an den bekannten Krimiautor auf der Liege, den sie nicht zum ersten Mal behandelte. Er kam mit seinem Leiden gern zu ihr und erzählte dann meist aus seinem literarischen Schaffen. Deshalb kannte sie die Abenteuer seines Serienhelden, ohne ein einziges der Bücher selbst gelesen zu haben. Dieses Wissen kann ihr jetzt zugute. „Da erlebt Ihr Supermann die gefährlichsten Abenteuer, erleidet mutig die schlimmsten Qualen – und Sie schreien schon wegen ein bisschen Reizstrom wie am Spieß. Wenn das Ihre Leser wüssten ...“
Wie beabsichtigt traf sie den empfindlichsten Nerv des Schriftstellers, der sich gern als Alter Ego seines Helden sah, von dem Tausende Halbwüchsige schwärmten.
„Es wurde aber wirklich sehr heiß, deshalb habe ich aufgeschrien. Nur vor Schreck“, lenkte er kleinlaut ein. „Es hat sicher kaum jemand darauf geachtet – und wenn doch, behalten Sie es bitte für sich.“
„Ich werde schweigen wie ein Grab“, versprach Myrtel dem Autor, insgeheim aufatmend, dass sie ihr Versehen so leicht unter den Teppich kehren konnte. Als der sich nach der halbstündigen Anwendung verabschiedete, tat er es mit der Versicherung, ihr beim nächsten Mal sein neuestes Buch samt Widmung und Autogramm mitzubringen.
Als er den Behandlungsraum verlassen hatte, zog sich Myrtel in ihr Büro zurück, sank dort auf den nächstbesten Stuhl und überließ sich ihren Gedanken.
Kiara Jonas gefeuert. Vom Chef höchstpersönlich. Warum? Im Prinzip kümmerte der sich nicht um Personalfragen. Wenn eine Stelle frei wurde, konnte der Leiter der entsprechenden Abteilung neues Personal einstellen – auch entlassen, wenn es den Anforderungen des exklusiven Clubs nicht entsprach oder sich schwertat, den unzähligen Sonderwünschen der VIPs bedingungslos nachzukommen. Mehr als eine gute Kraft hatte aus diesem Grund das „Pour Elles“ schneller verlassen müssen, als ihr lieb war.
Myrtel beschloss, hinunter in den Fitnessbereich zu gehen, um von Leon Genaueres über den Rauswurf von Kiara Jonas zu erfahren, denn Aaron Logan würde es sicher nicht für nötig halten, sie persönlich davon in Kenntnis zu setzen. Nicht dass sie die Krankenschwester besonders schätzte oder gar für unentbehrlich hielt, aber die Sache bereitete ihr Unbehagen, denn sie fürchtete in ihrem tiefsten Inneren, dass die Kündigung mit dem Vorfall im Schwimmbad zu tun haben könnte. Aber wer hatte den Chef darüber informiert und warum was sie selbst dann ohne Abmahnung davongekommen? Sie musste Klarheit haben.
Eine Viertelstunde später war Myrtel schlauer, wenn auch nicht glücklicher. Denn Leon hatte ihr ausführlich erzählt, was im ganzen Haus die Runde machte. Es war nicht das erste Mal, dass ein Mitarbeiter gehen musste, weil sich ein Kunde über ihn beschwert hatte. Mit so etwas musste jeder rechnen, egal ob Fitnesstrainer, Kosmetikerin oder Physiotherapeut. Doch dieses Mal lag der Fall ein bisschen anders.
„Da kennt der alte Logan kein Pardon. Den kümmert es anscheinend wenig, woher der Club gutes Personal bekommt“, hatte der Trainer gemurrt. „Und dann auch noch so hübsches.“
Der Leon war an dem Mädchen interessiert, das spürte Myrtel. Sie lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. Das Gewissen meldete sich. Ihretwegen hatte Kiara Jonas den Job verloren. Die Kundin hatte sich beschwert, weil die Neue in ihrer gewöhnlichen Straßenkleidung gearbeitet hatte. Kiaras Arbeitssachen waren nass gewesen – weil sie ins Schwimmbecken gesprungen war, um Myrtel zu retten. Doch offensichtlich hatte sie die Chefin nicht verraten.
Grübelnd, ob sie sich die Mühe machen sollte, das Unrecht wieder in Recht zu verwandeln, blätterte sie
Weitere Kostenlose Bücher