Temptation: Weil du mich verführst
ihr seines.
»Und?«, fragte Jacob, als sie nach der Prüfung mit ernster Miene vor ihn trat, und musterte sie besorgt. »Keine Sorge. Sie wiederholen die Prüfung einfach, wenn Sie ein bisschen mehr Praxis haben.«
Francesca strahlte. »Ich hab Sie hinters Licht geführt. Bestanden – und diesmal tatsächlich mit Bravour.«
Er drückte sie an sich und gratulierte. Francesca brach in erleichtertes Gelächter aus. Sie hatte es geschafft! Besser spät als nie!
Jacob entschuldigte sich und machte sich auf den Weg, um Ians Motorrad wieder in der Limousine zu verstauen – Francesca war fassungslos gewesen, wie viel Platz der luxuriöse Wagen bot, nachdem er den Tisch zwischen den Sitzen zur Seite geklappt hatte. Wieder musste sie eine halbe Ewigkeit warten. Nach ein paar Minuten wurde sie ungeduldig und klappte Ians Tablet auf – es war ein tolles Gefühl, die Wartezeit nicht mit Lernen von Verkehrsregeln verbringen zu müssen. Sie klickte die Suchfunktion an, worauf mehrere Vorschläge im Dropdown-Menü erschienen – offenbar waren es die Seiten, die Ian regelmäßig aufrief. Leise Gewissensbisse überfielen sie, als sie die Historie überflog. Wonach surfte Ian im Internet? Die meisten Seiten waren durchaus nachvollziehbar – Firmen und Personen, deren Hintergrund er recherchierte.
Eine Seite jedoch erschien ihr ungewöhnlich. Sie klickte sie an und sah sich beklommen um, um sicher zu sein, dass Jacob nicht neben ihr stand und sie beim Schnüffeln erwischte.
Die Seite baute sich auf: Das Genomics Research & Treatment Institute – ein angesehenes Forschungsinstitut mit angeschlossener Klinik im Südosten Londons, inmitten einer herrlichen Idylle gelegen. Francesca betrachtete die wunderschöne Landschaft und das hochmoderne Gebäude. Erst in diesem Moment fiel der Groschen: Es handelte sich um das führende Institut für die Erforschung und Behandlung von Schizophrenie.
Sie dachte an Ians Mutter. Hielt er sich wegen Helen Noble über die neuesten Erkenntnisse auf diesem Gebiet auf dem Laufenden? Unterstützte er das Institut gar finanziell?
»Was ist eigentlich das Genomics Research & Treatment Institute, Jacob?«, fragte sie, als Ians Chauffeur wenige Minuten später zu ihr stieß.
»Keine Ahnung. Wieso?«
»Sie kennen es also nicht? Das ist eine Art Klinik und Forschungszentrum. Sie haben also noch nie im Zusammenhang mit Ian davon gehört?«
Jacob schüttelte den Kopf. »Nein. Wo soll das sein?«
»Im Südosten von London.«
»Das erklärt natürlich einiges«, sagte Jacob und faltete seine Zeitung zusammen. »Das muss eine von Ians britischen Firmen sein. Darüber weiß ich so gut wie gar nichts.«
»Wieso?«
»Weil ich ihn in London nie fahre. Er hat seinen eigenen Wagen dort.«
»Oh«, erwiderte Francesca beiläufig in der Hoffnung, dass er ihre Neugier nicht bemerkt hatte. »Und London ist der einzige Ort, wo er sich selbst ans Steuer setzt?«
Jacob zögerte kurz. »Ja. Ich begleite ihn überall hin, nur nicht nach London. Aber eigentlich ist das auch naheliegend, oder? Ian ist Brite. Deshalb braucht er wohl keinen Chauffeur in London, oder?«
»Klar«, stimmte Francesca zu, während ihr Puls sich beschleunigte. Ian war also in London. Natürlich hatte er es ihr nicht gesagt, und Mrs Hanson wusste es entweder nicht oder schwieg, weil Ian es von ihr verlangte. Schon seltsam: Im Grunde war Ian Noble nirgendwo zu Hause. Er fand sich in jeder Stadt zurecht. Eigentlich brauchte er auch keinen Chauffeur, sondern hatte lediglich aus Bequemlichkeit einen – die Katze, die frei umherstreifte, egal in welcher Stadt. Für ihn waren sie alle gleich: Genau diesen Aspekt seiner Persönlichkeit hatte sie auf ihrem Gemälde einzufangen versucht. Es war genauso wie in Rudyard Kiplings Geschichte. Wo auch immer er sich aufhielt, er hatte die Fäden in der Hand, er ließ sich von niemandem herumkommandieren, sondern wusste stets, was er wollte, und er war immer allein, weil er es so haben wollte.
Weshalb war es in London anders? Weshalb nahm er Jacob, seinen Vertrauten, nicht dorthin mit?
Sie hob den Kopf, als ihr Name erneut aufgerufen wurde, und stand auf.
»Es ist so weit«, verkündete sie mit mühsam verhohlener Aufregung, endlich ihren Führerschein ausgehändigt zu bekommen – und nicht länger dem Bedürfnis widerstehen zu müssen, Jacob mit Fragen über Ian und London zu löchern.
»Sie fahren nach Hause«, sagte Jacob.
»Darauf können Sie Gift nehmen.« Sie grinste.
Am nächsten Tag saß
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