Tempus (German Edition)
fragen.
»Du, Filippa?! Warum ist Marcius eigentlich so abweisend zu mir? Ich habe ihm doch nichts getan«, fragte ich sie stattdessen.
»Du hast ihn wohl gern?!« Um ihre Lippen spielte ein wissendes Lächeln. Sofort bereute ich meine Frage.
»Nein. Also schon. Aber nicht so, wie du denkst«, entgegnete ich hastig.
»Das wirkt auf mich ganz anders.« Sie lächelte immer noch.
»Du irrst dich. Es gibt da jemanden in meinem Leben. Beziehungsweise gab. Wir haben uns vor ein paar Monaten getrennt. Eigentlich hat er sich von mir getrennt. Na ja, erst nachdem ich ihn verlassen habe. Es ist kompliziert.« Zum ersten Mal erzählte ich jemandem die Geschichte von Harry und mir. Anfangs stockend, schließlich immer lebhafter. Zum Schluss sprudelten die Worte förmlich aus mir heraus. Erst hatte ich Angst, dass mich der Schmerz wieder überwältigen würde. Doch das geschah nicht. In mir machte sich lediglich eine ruhige Traurigkeit breit, die ich gut ertragen konnte.
Filippa erwies sich als perfekte Zuhörerin. Sie zeigte Anteilnahme, ohne mich zu unterbrechen. Nachdem ich ihr alles erzählt hatte, schwiegen wir gemeinsam. Auch das fühlte sich gut an. In die Stille hinein sagte Filippa: »Weißt du Elina, nicht jeder, der nett zu dir ist, meint es auch gut mit dir. Umgekehrt gibt es Menschen, die behandeln dich unfreundlich, dennoch sind sie dir wohlgesonnen. Aus irgendeinem Grund können oder wollen sie dir nur nicht zeigen, dass sie dich mögen. Verstehst du, was ich meine?«
Ich spürte ein leises Ziehen in der Herzgegend. Nicht wegen Harry und auch nicht wegen Marcius, sondern weil ich Filippa so unglaublich gern hatte. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und berichtete ihr auch gleich noch von meinen gestrigen Erlebnissen.
Gaius Quintus
Nach besten Kräften half ich Filippa im Haushalt. Ich kontrollierte die Vorräte in der Speisekammer, goss Blumen, räumte auf oder entfernte den Staub auf den Möbeln und Büsten mit einem Wedel. Nicht weil es von mir erwartet wurde oder mir Spaß machte, sondern weil ich nicht wusste, was ich ansonsten tun sollte. Es gab keine Bücher, kein Internet, kein Telefon, keinen Fernseher. Zu Joggen war völlig ausgeschlossen. Spätestens dann hätten mich alle für verrückt gehalten.
Filippa hatte recht. Die meisten im Haus begegneten mir ohnehin mit Misstrauen. Ich bemerkte es an ihren Blicken, und ich hörte es an ihrem Getuschel. Wieder einmal war ich die Fremde, die keiner mochte. Daran änderte auch meine neue Frisur nichts. Außer Filippa gab es niemanden, mit dem ich reden konnte. Entsprechend schlich die Zeit dahin. Langsam. Zäh. Sie schien Umwege zu nehmen. Mein Leben hatte sich auf dramatische Weise entschleunigt. Was in Schweden eine Stunde gewesen war, entsprach hier fast einem halben Tag. Jedenfalls kam es mir so vor. Ich vermisste meinen alten Rhythmus.
Meinen ganz normalen Alltag. Und vor allem meine Eltern.
Marcius sah ich, wenn überhaupt, nur aus der Ferne. Ich versuchte, an Filippas Worte zu denken. Trotzdem versetzte mir sein distanziertes Verhalten jedes Mal aufs Neue einen Stich. Sosehr ich mich auch bemühte, ich verstand es nicht. Beziehungsweise ich verstand ihn nicht.
»Heute kann er mir nicht mehr aus dem Weg gehen. Wenn ich die Fäden ziehe, muss er mich wohl oder übel ertragen. Es bleibt doch dabei, dass ich es mache, oder?«, fragte ich Filippa gähnend. Ich war gerade erst wach geworden und saß noch etwas verschlafen auf meiner Bettkante.
»Ja, natürlich. Aber du darfst so nicht denken, Elina!« Filippa setzte sich neben mich aufs Bett.
»Und was soll ich denn stattdessen denken?«
»Ach, Elina!« Sie legte begütigend ihre Hand auf meine. Manchmal wirkte Filippa fast schon mütterlich. Ich musste an Hedda denken und daran, wie oft wir uns gestritten hatten. Zu oft. Traurig legte ich meinen Kopf an Filippas Schulter und stellte mir vor, es wäre die meiner Mutter.
Hufgetrappel schreckte uns auf. Ich stolperte zum Fenster und sah gerade noch Marcius und Verus auf ihren Pferden hinter ein paar Bäumen verschwinden.
Das war doch nicht zu fassen! Ungläubig starrte ich den beiden hinterher. Wie konnte sich Marcius in seinem Zustand auf ein Pferd setzen? Viel wichtiger aber war die Frage, wann er zurückkehrte. So wie es aussah, konnte ich ihm vorerst nicht die Fäden ziehen. Ich wandte mich vom Fenster ab, um Filippa mein Leid zu klagen. Doch sie hatte bereits das Zimmer verlassen. Wahrscheinlich um schon mal das Frühstück vorzubereiten.
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