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Tempus (German Edition)

Tempus (German Edition)

Titel: Tempus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maud Schwarz
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Mein Zeigefinger strich wie von selbst tröstend über die Wunde, bevor ich mich an das nächste Fadenende machte, das wie ein schwarzer Stachel aus dem Narbengewebe ragte.
    »Ich hörte, du warst verlobt?!«
    »Wie bitte?« Ich ließ verblüfft die Pinzette sinken.
    »Ich habe gehört, du warst mit einem Mann aus Afrika verlobt?«
    »Nein.«
    »Nein?« Er sah mich mit seinen gelblich braunen Augen durchdringend an, so als wollte er auf den Grund meiner Seele schauen. Es war schwierig, seinem Blick standzuhalten.
    »Es gab also keinen Mann, dem du versprochen warst?«
    »Ja. Nein. Also, ich meine, irgendwie schon. Woher weißt du das?« Ich war völlig überrumpelt. Mit einer derartigen Frage hatte ich nicht gerechnet.
    »Irgendwie schon? Was heißt das?«
    »Ich hatte einen Freund. Stimmt. Aber wir waren nicht verlobt. – Ist ja auch egal. Wir haben uns vor längerer Zeit getrennt.«
    »Ein Freund? Wie konntet ...« Marcius suchte nach den richtigen Worten. »Wie konntet ihr euch nahestehen, wenn ihr nicht verlobt wart?«
    »Er und ich – wir hatten – eine Verlobung war nicht notwendig – ich meine, wir waren dafür noch zu jung. Jetzt ist sowieso alles vorbei. Meine Eltern und ich sind aus Afrika weg, und er ist ...« Ich brach ab. Was ging das Marcius überhaupt an?! Während der vergangenen Tage hatte er mich keines einzigen Blickes gewürdigt und nun auf einmal interessierte er sich mehr für mich, als mir lieb war. Ich wurde wütend auf Filippa. Nur sie allein wusste von Harry. Sie musste es weitererzählt haben. Ich beschloss, sie später zur Rede zu stellen.
    »Zu jung für Wein und zu jung für eine Verlobung. Sag Elina, wofür bist du noch zu jung?« Der Anflug eines Lächelns huschte über Marcius’ Gesicht.
    Ich merkte, wie ich ihn mit halb geöffnetem Mund anstarrte, was bestimmt wenig intelligent aussah. Am liebsten hätte ich mich hingesetzt. Aber wohin? In meinem Magen begann es zu kribbeln. Von den Flügelschlägen eines kleinen Schmetterlings, der ungebeten anfing, seine Runden zu drehen.
    Marcius hatte es tatsächlich behalten! Er wusste noch, dass ich an dem Abend, an dem ich seine Wunde genäht hatte, keinen Wein trinken wollte, weil ich erst siebzehn war.
    »Ich habe dich etwas gefragt?« Wieder dieser durchdringende Blick.
    »Dort, wo ich herkomme, verlobt man sich frühestens mit achtzehn Jahren. Meistens ist man sogar noch älter.« Mir fiel selbst auf, dass das keine Antwort auf seine Frage war. Marcius hatte es bestimmt auch gemerkt, ging aber darüber hinweg.
    »Woher kommst du?«
    »Das habe ich doch schon tausendmal gesagt«, seufzte ich. »Ich würde viel lieber wissen, warum du immer so abweisend zu mir bist. Nicht gerade jetzt. Aber sonst«, entfuhr es mir. Zu spät biss ich mir auf die Zunge. Die Worte waren heraus. Ich konnte sie nicht mehr einfangen. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht?!
    »Du wunderst dich, weil ich abweisend bin?« Er schüttelte unmerklich den Kopf. »Und du weißt wirklich nicht, warum? Ich will es dir sagen. Der Grund ist: Du erzählst uns nicht die Wahrheit über dich.«
    Ich kaute auf meiner Unterlippe. Was sollte ich dazu sagen? Marcius hatte recht. Ich konnte und durfte mein Geheimnis nicht preisgeben. Niemand würde mir glauben, und alles würde nur noch schlimmer werden. Mein Leben hier war schon so schwierig genug.
    »Alles, was ich erzählt habe, ist wahr«, versuchte ich, mich aus der Affäre zu ziehen.
    »Und was ist mit dem, was du nicht erzählst?« Marcius ließ sich nicht abschütteln. Er blieb mir auf den Fersen wie ein Jäger. Ich probierte es mit einem Gegenangriff. Bei Filippa hatte es neulich geklappt.
    »Du erzählst mir auch nicht alles!«
    »Wie meinst du das?«, fragte er.
    »Ich weiß zum Beispiel nicht, wobei du dich so verletzt hast.«
    »Das geht dich nichts an!«
    »Verstehe! Dann gehen dich meine Angelegenheiten auch nichts an.« Ich griff nach der Pinzette, um weiterzuarbeiten.
    »Du verkennst, dass es einen entscheidenden Unterschied gibt«, sagte Marcius ruhig, »Du bist Gast in unserem Haus und nicht ich bin es, der Gast in deinem Haus ist. Oder in dem deiner Eltern.«
    »Vielen Dank für den Hinweis!« Mit einem Ruck entfernte ich den nächsten Faden, der ebenfalls eingewachsen war. Marcius griff mit schmerzverzerrtem Gesicht nach meinem Handgelenk.
    »Elina, ich werde dich im Auge behalten. Früher oder später werde ich dein Geheimnis entdecken.«
    »Gut. Wenn du es kennst, sag mir Bescheid. Vielleicht verstehe ich

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