Tempus (German Edition)
nach seiner Hand.
»Dachte ich es mir doch.« Er fuhr sich zufrieden mit der Zungenspitze über die Lippen. »Du trägst keine Perücke. Deine blonden Haare sind echt. Seit wann hat Lucius germanische Verwandte?«
»Ich komme nicht aus Germanien, sondern aus Skandinavien«, widersprach ich.
»Mach mir nichts vor! Du bist eine kleine germanische Sklavin.« Quintus rückte näher an mich heran. »So etwas wie dich hätte ich auch gern bei mir zu Hause. Meinst du, ich kann dich mal ausleihen?« Seine Lippen waren ganz nah vor meinem Gesicht. Erneut versuchte ich, aufzustehen, wieder hielt er mich zurück. Irgendwo in der Nähe raschelte es. Vermutlich ein Vogel. Oder eine Maus.
»Lasst mich los! Was fällt Euch ein?! Ich bin keine Sklavin, sondern Gast hier. Wenn Ihr mich jetzt nicht in Ruhe lasst, schreie ich«, zischte ich.
Quintus schien das wenig zu beeindrucken. »Ich möchte zu gern wissen, warum Lucius eine Sklavin für seine Verwandte ausgibt«, überlegte er laut. »Welchen Grund könnte das wohl haben? Willst du ihn mir nicht nennen, mein Täubchen?!« Er fuhr mit seiner Hand unter meine Tunika und legte sie auf mein Knie. Angewidert zuckte ich zurück. Quintus lachte. »Wenn du mir die Wahrheit sagst, lasse ich dich in Frieden. Auch wenn es mir zugegebenermaßen schwerfällt.«
»Elina, dein Onkel verlangt nach dir!« Verus tauchte plötzlich vor uns auf. Weder Quintus noch ich hatten ihn kommen hören.
Ich atmete auf und lockerte meine Hand, die ich bereits zur Faust geballt hatte. Quintus blieb seelenruhig sitzen und nahm betont langsam seine Hand von meinem Knie.
»Lucius’ Nichte und ich haben ein wenig geplaudert. Sehr nett, das Mädchen. Mit ihren blonden Haaren könnte man sie glatt für eine germanische Sklavin halten. Senator Lucius Sulla hat wirklich eine außergewöhnliche Verwandtschaft.« Quintus gab ein schnalzendes Geräusch von sich.
»Lucius Sulla ist eben ein außergewöhnlicher Mann«, erwiderte Verus kalt.
»Das ist wahr.« Quintus erhob sich schwerfällig. »Wir wollen diesen außergewöhnlichen Senator nicht länger warten lassen.« Er furzte und trippelte auf den Säulengang zu, der den Garten umrahmte.
»Elina, komm, wir müssen zurück«, sagte Verus. Er stand direkt neben der Bank, auf der ich noch immer saß, und blickte auf mich hinunter. Quintus war bereits außer Hörweite.
»Ich kann nicht.«
»Wieso kannst du nicht?«
Erst dieser entsetzliche Mann in der Stadt und nun der fette Quintus! Ich war wie erstarrt. Das Einzige, was sich bewegte, waren meine Schultern. Sie zuckten. Erst ein wenig, dann immer stärker.
»Weinst du, Elina?« Verus klang betroffen. Unruhig ging er vor mir auf und ab. Schließlich setzte er sich neben mich und legte etwas unbeholfen seinen Arm um mich. »Wein nicht, Elina. Alles wird wieder gut.«
Schluchzend lehnte ich meinen Kopf an die breite Brust vor mir. Sie fühlte sich gut an. Allerdings nur für einen kurzen Augenblick. Als ich begriff, was geschehen war, hob ich den Kopf und fauchte: »Wieso hast du zugelassen, dass er mich belästigt und begrapscht? Du hast die ganze Zeit im Gebüsch gesessen und uns belauscht, oder? Ich habe es immerzu rascheln hören. Warum hast du mir nicht früher geholfen, Verus? Du bist ein ...« Mit aller Kraft schlug ich ihm gegen die Brust. Ich war wütend, so furchtbar wütend, dass ich zu weinen aufhörte. Niemandem hier konnte ich trauen; alle ließen mich im Stich. Ich setzte zu einem weiteren Schlag an. Verus verhinderte ihn, in dem er mich am Handgelenk festhielt und mich dicht an sich zog.
»Es tut mir leid, Elina«, flüsterte er. »Wirklich.« Er klang aufrichtig. Ich wehrte mich nicht, als er mich in den Arm nahm.
»Wie ich sehe, Verus, hast du das Mädchen gefunden. Es wäre schön, wenn ihr euch dazu entschließen könntet, mir jetzt zurück in den Esssaal zu folgen, damit wir weiter speisen können.« Seine Stimme war schneidend wie ein Schwert.
Erschrocken fuhren Verus und ich auseinander. Marcius stand etwa zwei Meter von uns entfernt unter einem Baum. Die Öllampe, die er in der Hand hielt, warf ein flackerndes Licht auf sein Gesicht und verlieh ihm etwas Unheimliches. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, seine Augen hatten einen merkwürdigen Ausdruck. Weder Verus noch ich konnten ein Wort sagen.
»Kommt jetzt!« Abrupt wandte sich Marcius ab. Seine humpelnde Gestalt verschwand hinter einer Hecke.
»Verdammt! Warte, ich kann dir das erklären«, rief
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