Tempus (German Edition)
alles ein einziges Durcheinander, und ich befand mich mittendrin.
Gereizte Stimmung
Es war über Nacht kalt geworden. Und grau. Sämtliche Farben waren wie vom Erdboden verschluckt. Nach Quintus’ Besuch ging mir Marcius endgültig aus dem Weg. Wie ich es befürchtet hatte. Vergeblich streifte ich in den darauffolgenden Tagen durch die Flure und Innenhöfe, in der Hoffnung ihn irgendwo abzupassen. Nur einmal sah ich ihn von Weitem. Mein Herz machte einen Hüpfer. Doch er drehte sich um und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war, als er mich erblickte. Sosehr ich mich auch bemühte, er gab mir keine Chance, ihm alles zu erklären.
Allmählich musste ich mir eingestehen, dass ich mich in Marcius verliebt hatte. Es war mehr als offensichtlich. Abends beim Einschlafen war er mein letzter und morgens, wenn ich die Augen aufschlug, mein erster Gedanke. Alles drehte sich nur noch um ihn. Ich versuchte, mich dagegen zu wehren, aber es gelang mir nicht. Es war zum Verrücktwerden. Ich hatte mich in jemanden verliebt, der rund zweitausend Jahre älter war als ich. Unmöglicher konnte eine Liebe kaum sein. Aber was spielte das noch für eine Rolle? Marcius wollte mich sowieso nicht sehen, geschweige denn sprechen.
Ich war gereizt wie lange nicht mehr. Die Nervenenden vibrierten in meinem Körper. Ich war dünnhäutig und fahrig. Obwohl mir ein wenig Abwechslung wahrscheinlich gutgetan hätte, lehnte ich es mittlerweile ab, Filippa im Haushalt zu helfen. Ich war zu unruhig dafür. Außerdem kam mir die Arbeit sinnlos vor. Ich wusste nur zu genau, dass ich eigentlich nicht gebraucht wurde. Für jede Aufgabe, die anfiel, gab es mehr als genug Sklaven.
Filippa hatte besonders unter meiner schlechten Stimmung zu leiden, was bestimmt nicht leicht für sie zu ertragen war, weil sie nicht wusste, warum ich mich so verhielt, wie ich mich verhielt. In letzter Zeit redete ich kaum noch mit ihr, und wenn, nur über Belanglosigkeiten. So gern ich ihr meinen Kummer mit Marcius anvertraut hätte, ich wagte es nicht; ich hatte Angst, sie würde es Kleon weitererzählen.
Beim Mittagessen war Filippas Schmerzgrenze erreicht. Mehrfach hatte sie versucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln, aber ich hatte immer nur einsilbige Antworten gegeben. Zum ersten Mal erlebte ich, dass sie für ihre Verhältnisse verärgert reagierte.
»Was ist bloß los mit dir, Elina?«
Lustlos kaute ich auf einem Stück Brot und einer Ecke Käse herum.
»Hab Heimweh«, sagte ich. Das war noch nicht einmal gelogen.
»Das kann ich verstehen. Es ist bestimmt schwierig, in der Fremde zu sein. Erzähl mir doch ein wenig von deinem Zuhause«, forderte sie mich auf.
»Jetzt nicht.« Ich stand auf und räumte das Geschirr zusammen.
»Lass, das kann die Sklavin machen«, Filippa dirigierte eines der Mädchen mit den Augen herbei.
»Hat sie keinen Namen?«, fuhr ich Filippa an.
»Doch. Wieso kümmert dich das?«, erwiderte sie scharf.
»Sie ist ein Mensch und keine namenlose Sache!«
»Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst.«
Gereizt winkte ich ab. Einerseits fühlte ich mich im Recht, andererseits ahnte ich, dass ich Filippa unfair behandelte.
»Hast du Lust, mit Kleon und mir zum Markt zu gehen?«, wechselte sie das Thema. Ihre Stimme klang schon wieder versöhnlich. Selten zuvor hatte ich einen Menschen kennengelernt, der so auf Ausgleich und Harmonie bedacht war wie sie. Manchmal nervte das. Vor allem an Tagen, an denen mich alles nervte. Und von denen gab es immer mehr.
»Nein danke. Ich fühl mich nicht so«, antwortete ich.
»Wenn du nicht mitkommst, was willst du stattdessen machen?«
»Weiß noch nicht. Vielleicht lege ich mich ein bisschen hin.«
Ich war vom vielen Denken und von den zahlreichen Versuchen, Marcius zu treffen, todmüde. Und ich war es leid, Filippa weiter zu verletzen. Ich war ihre Fragen leid. Ihre Anteilnahme. Einfach alles. Ich gab auf. Einfach so. Genau in diesem Moment. Marcius hatte sich entschieden, und ich konnte nichts dagegen tun.
Wortlos ließ ich Filippa stehen und ging in unser Zimmer. Ich legte mich aufs Bett und verbrachte den Rest des Tages damit, an die Decke zu starren.
Grau
Ein weiterer trüber Tag. Ich blieb im Bett. Es gab keinen Grund, aufzustehen. Plötzlich, ich hatte sie schon fast vergessen, musste ich an die flüsternde Stimme und den kräftigen Arm unter meinem Nacken denken, die mich zu Hause und im Flugzeug getröstet hatten. Was war mit ihnen geschehen? Seit meiner
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