Tempus (German Edition)
Ich bitte doch einen Sklaven nicht in dieser Angelegenheit um Hilfe. Das kommt überhaupt nicht infrage. Du könntest es dagegen tun. Du könntest mit Filippa reden. Frauen haben doch immer etwas miteinander zu tuscheln.«
»Ich will aber nicht.«
»Warum nicht?« Er kam zu meinem Bett, auf dem ich noch immer saß, packte mich an den Schultern und schüttelte mich.
Ich haute ihm auf die Hände und fauchte: »Weil mir das peinlich ist. Außerdem ...«
»Was außerdem?« Verus ließ meine Schultern los.
»Nichts, schon gut!« Ich biss mir auf die Zunge. Beinahe hätte ich ihm gesagt, wie wenig ich Kleon und Lucius traute. Ich war mir ziemlich sicher, dass die beiden Marcius irgendetwas erzählen würden, nur nicht unbedingt das, was sich im Garten wirklich abgespielt hatte. Das musste Verus allerdings nicht wissen. Genauso wenig, wie Kleon und Lucius von unserer Umarmung wissen mussten.
»Du bist ganz schön dickköpfig«, grollte Verus.
Ich zeigte auf den Zimmerausgang. »Du solltest jetzt gehen!«
Verus stand unschlüssig vor meinem Bett. »Ich dulde nicht, dass du einen Keil zwischen Marcius und mich treibst. Er ist mein bester Freund. Du musst mit Filippa sprechen. Das bist du mir schuldig«, knurrte er schließlich.
»Ich bin dir gar nichts schuldig. Geh jetzt!« Das Gespräch deprimierte mich. Verus’ Anblick deprimierte mich. Alles deprimierte mich.
Ein letzter Versuch
Worauf warten? Ich hatte in dieser Zeit nichts verloren und in meine konnte ich nicht zurück. Vermutlich niemals mehr. Von allen Menschen, die mir etwas bedeuteten, war ich getrennt. Durch Raum, Zeit und Missverständnisse. Ich hatte keine Hoffnung mehr, und ich wollte mich auch nicht mehr an eine klammern. Hoffnungen bestraften nur; sie waren sadistisch. Sie machten den nächsten Absturz nur schlimmer – schneller, tiefer und schmerzhafter. Das Gespräch mit Verus hatte mir gestern den Rest gegeben.
Vorsichtig erhob ich mich von meinem Bett und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer, ohne dass Filippa etwas merkte. Im Haus war es dunkel und totenstill. Es musste noch sehr früh morgens sein. Ich schob den Riegel der Haustür beiseite und ging nach draußen. Ziellos streifte ich ums Haus. Einen konkreten Plan hatte ich nicht. Ich wusste nur, dass ich so nicht mehr leben wollte. Die ersten Vögel fingen an zu singen und hinter den Baumwipfeln im Osten reckte und streckte sich die Sonne. Aber ihre Strahlen erreichten mich nicht. Ich schlenderte durch einen mit Wein bewachsenen Laubengang. An den wenigen verbliebenen Blättern funkelten die Tautropfen im ersten Morgenlicht. Sie erinnerten mich an Tränen.
Plötzlich zuckte ich zusammen. Ich hatte mir meinen großen Zeh an einem spitzen Gegenstand gestoßen. Der Zeh fing auf der Stelle an zu bluten. Verdammt, auch das noch! Ich bückte mich und hob den Gegenstand auf, an dem ich mich verletzt hatte: eine Tonscherbe. Versonnen betrachtete ich ihre scharfen Kanten. Ich schloss meine Finger um die Scherbe und ging weiter. Jetzt wusste ich, was zu tun war. Vorher wollte ich jedoch noch einen allerletzten Versuch unternehmen. Nur noch einen einzigen.
Ich verließ den Laubengang und eilte den Sandweg hinunter. Mein Zeh blutete noch immer. Ich ignorierte den Schmerz und lief bis zu der Stelle, wo ich den Weg verlassen musste. Hastig schob ich die Zweige zur Seite und kämpfte mich zwischen Sträuchern und Büschen hindurch, bis ich zu der Baumgruppe kam, wo mich Kleon gefunden hatte. Etwas außer Atem lehnte ich mich gegen den nächstbesten Stamm.
Nichts geschah. Ich versuchte es bei einem der anderen Bäume. Wieder nichts. Auch bei Baum Nummer Drei und Vier hatte ich kein Glück.
Ein Rascheln ließ mich aufhorchen. Mist. Jetzt hatte mich Kleon erwischt. Oder einer seiner Spitzel. Ärgerlich drehte ich mich um.
Ich hatte mich geirrt. Weder Kleon noch irgendjemand anderes stand vor mir. Eine graue Schlange schlängelte sich über den Boden und zischte mich an. Vor Schreck schrie ich auf. Als Kind war ich in Kenia von einer Viper gebissen worden. Seitdem hatte ich vor Schlangen panische Angst. Regelmäßig verfolgten sie mich in meinen Träumen. Regelmäßig wachte ich schweißgebadet mitten in der Nacht auf, um mein Zimmer nach ihnen abzusuchen.
Gelähmt starrte ich auf das Maul der Schlange, aus dem im raschen Tempo die Zunge herauszüngelte. Ganz deutlich konnte ich ihre Giftzähne erkennen. Mit erhobenem Kopf bewegte sie sich auf mich zu. Ihr Zischeln ging mir durch Mark und Bein.
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