Tempus (German Edition)
sah mich an.
Ich dachte, mein Herz würde stehen bleiben. Seine Hand, sie war es! Die Hand aus meinem Traum! Ich erkannte sie genau. Ich spürte es! Ein warmer Strom rieselte durch meinen Körper, von meiner Hand zu seiner und von seiner zurück zu meiner. Wie ein Kreislauf, der endlich geschlossen worden war. Kein Zweifel. Seine Hand war die richtige. Sie gehörte zu mir.
»Elina?«
Ich konnte nur nicken.
»Was meinst du? Wird es nicht Zeit für die Wahrheit?«
»Deine Hand ...«, setzte ich an.
»Was ist damit?« Er machte Anstalten, sie wegzuziehen, aber ich hielt sie fest.
»Spürst du nichts?«, flüsterte ich.
»Was soll ich spüren? Ich finde, es fühlt sich gut an. Ich halte gern deine Hand. Es ist, als hätte ich mein ganzes Leben darauf gewartet.« Er hob meine Hand hoch und berührte sie leicht mit den Lippen. Es war mehr ein Hauch als ein Kuss. Trotzdem wurde mir schwindelig.
»Mir geht es genauso.« Ich konnte kaum noch reden, so aufgeregt war ich.
Marcius lächelte. »Und was ist mit meiner Frage?« Er rückte ein wenig von mir ab, um mir besser in die Augen sehen zu können.
»Ach, Marcius. Ich würde ja gern. Aber ich kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil du mir nicht glauben würdest. Du würdest mir eher eine Lüge glauben. Das weiß ich genau. Doch ich will dich nicht anlügen.«
»Woher willst du wissen, dass ich dir nicht glaube? Hast du so wenig Vertrauen zu mir?«
»Ich weiß es eben«, nuschelte ich.
Marcius erwiderte nichts. Eine Mauer des Schweigens baute sich zwischen uns auf. Als er keine Anstalten machte, sie einzureißen, sagte ich zögerlich: »Versprich, mir zu glauben!«
»Ich verspreche es«, sagte Marcius ernst und legte meine Hand auf seine Brust. Ich konnte seinen Herzschlag spüren. Oder war es meiner?
»Wirklich?«, vergewisserte ich mich.
»Wirklich!«
»Schwöre es!«
»Ich schwöre es beim Grab meiner Mutter!«
Wieder schwiegen wir eine Weile. Ich war ihm dankbar, weil er mich nicht drängte. Es war so schwierig, die richtigen Worte zu finden. Und so gefährlich, sie auszusprechen. Ich schluckte mehrmals; in meinen Ohren pulsierte das Blut. Tu es nicht! Lass es! Tu es nicht! Ich ignorierte die warnende Stimme in mir.
»Marcius, glaubst du, man kann in die Zukunft oder Vergangenheit reisen?«
Seine Augen weiteten sich. »Ich habe noch nie davon gehört.«
»Ich auch nicht«, sagte ich mit möglichst fester Stimme. »Genau das ist mir jedoch passiert.«
1 Homer, Ilias .
Das Tor zur Gegenwart
Du behauptest, du bist zweitausend Jahre nach mir geboren worden?«, fragte Marcius und runzelte die Stirn. Ich hatte ihm alles erzählt. Haarklein. Von meinem Leben in Afrika, der Rückkehr nach Schweden, meiner Reise mit Erik nach Rom bis zu dem Moment, in dem mich Kleon bei den Bäumen gefunden hatte.
»Ja, es sind sogar mehr als zweitausend Jahre.«
»Du kommt also aus der Zukunft?«
»Es sei denn, ich träume das alles nur. Du könntest mich ja zwicken, damit ich weiß, ob ich schlafe oder nicht«, versuchte ich, zu scherzen. Der Schatten, der sich auf Marcius’ Gesicht gelegt hatte, wollte trotzdem nicht verschwinden. Seine Miene blieb ernst.
»Du schläfst nicht«, stellte er tonlos fest.
Ich entzog ihm meine Hand, die er noch immer festhielt, inzwischen auf eine leblose Weise. »Du glaubst mir nicht, stimmt’s?«, stieß ich hervor.
Marcius zog die Augenbrauen zusammen. Über seiner Nase bildete sich eine steile Falte. »Ich habe immer noch nicht verstanden, wie es möglich sein soll, von der Zukunft in die Vergangenheit zu wechseln?«
»Von der Gegenwart in die Vergangenheit«, verbesserte ich ihn. »Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, ich habe mich vor diesem Jungen, Giulio hieß er, im Gebüsch versteckt und gegen einen Baum gelehnt. Kurz darauf stand plötzlich Kleon vor mir. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Wie kann man die Zeit wechseln, wenn man an einem Baum lehnt?«
»Ich weiß es nicht. Wie oft soll ich es noch sagen?!«
»Du hast keine Erklärung dafür?« Marcius stellte eine Frage nach der anderen. Schnell und knapp. Ich kam mir vor wie bei einem Verhör.
»Es gibt da so eine Theorie. Danach darf man sich die Zeit wohl nicht als gerade Linie vorstellen. Angeblich ist die Zeit irgendwie gekrümmt. Wenn das stimmt, könnte es sein, dass sie sich selbst berührt. Unter Umständen hat sich bei dem Baum, an den ich gelehnt habe, meine Zeit mit deiner gestreift. Verstehst du?!« Ich ließ meine Hände sinken, die zur besseren
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