Tempus (German Edition)
schicken. Das war vor knapp acht Jahren. Verus war damals fast noch ein Kind.«
Ich war einigermaßen überrascht. Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet. Andererseits erklärte das einiges. Verus’ Aussehen zum Beispiel, und sein Auftreten. Möglicherweise auch seine Liebe zu einer Sklavin, die er sogar zu heiraten bereit war.
»Wieso hat Cäsar Verus nach Rom bringen lassen?«
»Es ist durchaus üblich, die Söhne von Stammesführern nach Rom zu schicken. Zum einen dienen sie als Geiseln, um sicherzustellen, dass sich die Stämme nicht gegen uns erheben. Zum anderen sollen die zukünftigen Häuptlinge die römische Lebensart kennenlernen, um sie besser zu verstehen.«
»Du meinst, sie sollen zu Römern gemacht werden, damit sie, wenn sie zu ihrem Volk zurückkehren, dieses auch romanisieren«, stellte ich pikiert fest.
»Ja, das meine ich wohl«, erwiderte er gepresst.
»Ich finde das nicht in Ordnung, kleine Jungs in eine fremde Stadt zu verschleppen.« Zum ersten Mal verspürte ich so etwas wie Mitleid mit Verus.
»Mhmmm«, war Marcius’ einzige Reaktion.
»Und wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Verus hat eine Weile bei uns gelebt, als er und ich noch Kinder waren. Damals wurden wir Freunde und sind es bis heute geblieben. Er ist fast so etwas wie ein Bruder für mich. Inzwischen lebt er mit ein paar anderen gallischen Prinzen in einer Villa nicht weit von hier.«
»Wann darf er zurück in seine Heimat?«
»Jederzeit. Er ist ein freier Mann. Die römischen Bürgerrechte wurden ihm schon vor geraumer Zeit verliehen. Allerdings gibt es nicht viel, was ihn nach Hause zieht«, Marcius stockte. Es dauerte eine Weile, bis er weitererzählte. »Verus’ gesamte Familie ist tot. Von seinem Dorf ist auch nicht viel übrig geblieben. Cäsar hat dort ganze Arbeit geleistet. Vor etwa einem Jahr gab es einen Aufstand, den Cäsar brutal niederschlagen ließ. Den Galliern, die überlebten, ließ er die Hände abschlagen. Verus’ Vater ist verblutet und sein Bruder ist, soweit ich gehört habe, am Wundfieber gestorben.« Marcius verzog sein Gesicht, als ob er Schmerzen hätte.
Ich legte mir die Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Von den Gräueltaten zu Hause in Schweden zu lesen, war bereits schlimm genug gewesen. Davon in dieser Umgebung und von Marcius höchstpersönlich zu hören, war kaum auszuhalten. Auf einmal rückte alles so nah an mich heran und wurde beängstigend real.
»Wie furchtbar«, murmelte ich in meine Hand. »Er muss Cäsar abgrundtief hassen!«
»Ja, das tut er«, bestätigte Marcius grimmig.
»Und du?«
Marcius verzog seinen Mund. »Wir sollten über etwas Erfreulicheres sprechen. Warte, ich habe eine bessere Idee.« Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und küsste mich noch liebevoller als sonst. Ich ließ es nur zu gern geschehen. Wenn Marcius mich küsste, vergaß ich immer alles um mich herum. Ich konnte von seinem Mund nie genug bekommen.
»Es ist schon verrückt!« Marcius hatte seine Lippen von meinen gelöst, was mir gar nicht gefiel.
»Was?«, fragte ich.
»Erinnerst du dich noch an den Abend, an dem du mein Bein genäht hast?«
»Natürlich, wie könnte ich das vergessen?!«
»Du hast damals ein ziemliches Kauderwelsch gesprochen. So eine Mischung aus Latein und deiner Sprache. Hinterher habe ich Verus gefragt, ob er sie kennen würde. Ich hielt es für möglich, weil du ja allem Anschein nach aus dem Norden kamst. Verus versicherte mir jedoch hoch und heilig, dass er kein Wort von dir verstanden hätte. Heute weiß ich, warum.«
Jetzt machte ich nur »Mhmm« und hielt ihm erneut meinen Mund hin. Marcius küsste mich flüchtig.
»Sieh nur!« Er zeigte auf eine einsame Rose, die sich gegen den nahenden Winter tapfer zur Wehr setzte. Die äußeren Ränder ihrer roten Blütenblätter waren bereits bräunlich gelb verfärbt und wellten sich. Der Hauch von Vergänglichkeit, der an ihr haftete, machte sie besonders schön. Marcius ging zu ihr hin, pflückte sie und überreichte sie mir mit einem Lächeln.
»Eine letzte Rose für die schönste Blume des Nordens und Roms.« Er küsste mich erneut. Dieses Mal sanft aufs Haar. Ich ahnte, was das zu bedeuten hatte.
»Es wird Zeit, Elina. Wir müssen zurück ins Haus. Gute Nacht und träume schön«, sagte er, genau wie ich es befürchtet hatte. Ohne meine Antwort abzuwarten, drückte Marcius meine Hand und entschwand in die hereinbrechende Dunkelheit. So schnell, dass man hätte meinen können, er würde vor
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