Tempus (German Edition)
mir fliehen. Mittlerweile kannte ich ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht vor mir, sondern vor dem Abschied davonrannte. Das Auseinandergehen fiel uns jeden Abend aufs Neue schwer, auch wenn wir uns immer nur für wenige Stunden trennen mussten. Allein die Vorstellung unter demselben Dach zu schlafen, aber nicht ins Zimmer des anderen zu dürfen, war grausam. Marcius litt darunter noch mehr als ich.
Ich roch an der Rose in meiner Hand und folgte ihm mit einigem Abstand.
Nur geduldet
So sehr Marcius und ich uns auch bemühten, uns möglichst unauffällig zu verhalten, Filippa und Verus kamen uns schon bald auf die Schliche. Bei Filippa störte mich das nicht. Im Gegenteil. Sie hatte es nicht verdient, dass ich noch mehr Geheimnisse vor ihr hatte als ohnehin schon. Außerdem verhielt sie sich wie üblich sehr diskret. Verus hingegen nervte mich ziemlich. Bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit zwinkerte er mir zu oder grinste anzüglich, wofür ich ihn am liebsten geboxt hätte. Richtig böse konnte ich trotzdem nicht auf ihn sein. Dafür tat er mir zu sehr leid. Wie furchtbar musste es für ihn gewesen sein, seine Familie, sein Volk und vor wenigen Wochen auch noch Cornelia zu verlieren?! Nach ihrem Tod hatte Verus sich zunächst nur selten auf dem Palatin blicken lassen. Jetzt besuchte er Marcius wieder öfter. Der Grund dafür gefiel mir nicht.
Seit Kurzem trainierten die beiden zusammen mit anderen jungen Männern, von denen ich die meisten vom Sehen kannte, regelmäßig auf einer kleinen Wiese hinter Lucius’ Haus. Nur mit kurzen, groben Leinenhemden bekleidet, attackierten sie sich gegenseitig mit Kurzschwertern und Speeren, die normalerweise aus Holz waren. Gerade übten sie den Kampf vom Sattel aus mit echten Waffen. Sie galoppierten scharf an, kamen abrupt zum Stehen, ließen die Pferde auf der Hinterhand wenden und ritten einen erneuten Angriff. Schon bald dampften die Pferde und hatten Schaum vorm Maul. Auch Marcius und Verus schwitzten. Ihre nackten Arme glänzten trotz der Kälte. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich sie für Todfeinde gehalten. Sie stachen und hieben so fest aufeinander ein, dass mir allein vom Zusehen schlecht wurde. Lediglich ihre Schilder und ihre Geschicklichkeit bewahrten sie vor üblen Verletzungen. Was ich sah war kein Spiel und kein gewöhnliches Training. Marcius und die anderen bereiteten sich aufs Töten vor. Diese Erkenntnis ließ mich frösteln.
»Ich kann dich gut verstehen«, wisperte Filippa, die mir gefolgt war und mit mir hinter einem Stapel Feuerholz stand, von wo aus wir die Männer heimlich beobachten konnten. »Wie schön und stark er ist!«
»Ja, das ist er. Aber was er macht, mag ich nicht.«
»Er ist eben ein Mann.« Bewundernd starrte Filippa Marcius an, der geschmeidig wie eine Katze einem Schwerthieb von Verus auswich.
»Ich weiß. In solchen Momenten wäre mir lieber, wenn er nicht so männlich wäre.«
Sie kicherte. »Du bist verrückt, Elina!«
»Hmm, vor Sorge.«
Sie zog mich von meinem Beobachtungsposten fort. »Lass uns spazieren gehen. Du musst es dir ja nicht mit ansehen«, schlug sie nicht ganz uneigennützig vor. In letzter Zeit hatte ich sie wegen Marcius ziemlich vernachlässigt. Genauso wie meine Arbeit in der Bibliothek.
Filippa und ich drehten eine Runde ums Haus. Das Laub raschelte unter unseren Füßen.
»Wissen die anderen eigentlich auch von Marcius und mir?« Nachdenklich riss ich ein welkes Blatt von einem Strauch und zerkrümelte es zwischen den Fingern.
»Ich denke schon.«
»Und was sagen sie?«
»Nichts. Zumindest nicht zu mir.«
»Kleon hat doch bestimmt etwas gesagt?!«
Filippa zuckte mit den Schultern.
»Hat er dir gesagt, was Lucius darüber denkt?«, bohrte ich weiter.
»Ach, Elina, solltest du irgendwann keine Fragen mehr stellen, werde ich mir wirklich Sorgen um dich machen!«
»Nun sag schon!« Ich zog spielerisch an ihren Haaren. Ebenfalls spielerisch haute sie mir auf die Finger. Jedoch ohne zu lächeln.
»Lucius duldet es.«
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, er heißt es nicht gut, akzeptiert es aber, solange ihr euch diskret verhaltet.« Schnell fügte sie hinzu: »Was ihr ja auch macht.«
»Wieso heißt er es nicht gut?« Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie verletzt ich war.
Filippa holte tief Luft. »Du bist eine Fremde und damit auch unter politischen Gesichtspunkten nicht das, was man unter einer guten Partie versteht. Andererseits wirkt Marcius
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