Tempus (German Edition)
Hand und schließlich meinen Mund. Ganz vorsichtig und zärtlich, als wäre es das erste Mal. Eng umschlungen saßen wir auf der Bank und näherten uns wieder an. Niemand störte uns. Wir waren allein. Nur er und ich.
Erst als das Feuer fast heruntergebrannt war, verließ Marcius seinen Platz neben mir. »Warum hast du eigentlich keine Geschwister?«, fragte er, während er Holz auf das Feuer nachlegte.
»Keine Ahnung. Da müsste ich meine Mutter fragen.«
»Ich kann meine leider gar nichts mehr fragen.«
»Ich weiß.« Ich streichelte seine Schulter. »Es tut mir leid.«
»Ja, mir auch«, sagte er mehr zu sich selbst, als zu mir. »Ich habe meine Mutter als hübsche Frau in Erinnerung, die gern und viel gelacht hat. Als sie starb, verschwand mit ihr das Lachen aus unserem Haus. Mein Vater ist ein ernster Mann. Das hast du wahrscheinlich selbst schon gemerkt. Für ihn gibt’s nichts außer Pflicht und Arbeit. Und die Ehre der Familie. Es war mit ihm häufig sehr, wie soll ich sagen – bedrückend.«
Ich küsste ihn auf die Wange und fuhr ihm mit den Händen durch die frisch geschnittenen Haare.
»Das hat meine Mutter auch immer gemacht«, lächelte Marcius. Er nahm meine Hände und hielt sie fest. »Aber jetzt bin ich ein erwachsener Mann.«
»Ja, das bist du. Und dein Vater ist sehr stolz auf dich.«
»Meinst du?« Sein Blick ruhte auf mir. Langsam ahnte ich den Grund für die versteckte Traurigkeit in seinen Augen.
»Das meine ich nicht nur, das weiß ich. Das habe ich sofort gemerkt. Schon am allerersten Abend. Dein Vater hört auf dich, wenn du etwas sagst. Deine Meinung ist ihm wichtig.«
»Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Das sollte es aber, so offensichtlich wie es ist!«
»Hmm.« Er unterdrückte ein Gähnen.
»Bist du müde?«
»Ein wenig. Tut mir leid. Ich war heute schon früh unterwegs.« Er machte ein schuldbewusstes Gesicht.
»Noch bevor wir losgeritten sind?«, wunderte ich mich.
»Mhm.«
»Wo warst du?«
»Gespräche führen. Dinge organisieren.«
»Was für Gespräche und Dinge?«
Marcius seufzte. »Der Widerstand gegen Cäsar formiert sich. Pompeius wurde mit der Verteidigung von Rom beauftragt, für den Fall, dass Cäsar angreift. Es heißt, dieser Ehrgeizling habe bereits seine Truppen in Gallien in Bewegung gesetzt.«
»Du bist gegen Cäsar, oder?«
»Was glaubst du denn? Ich dachte, das wäre klar. Du darfst aber mit niemandem darüber sprechen, hörst du?!«
»Nein, werde ich nicht. Natürlich nicht. – Was hast du mit dem Widerstand genau zu tun?« Eigentlich wollte ich die Antwort gar nicht hören, doch ich hatte gefragt. Nun war es zu spät.
»Ich stehe in Kontakt mit Pompeius und seinen Männern und werde mich ihnen gegebenenfalls anschließen. Zusammen mit Verus und den anderen.« Marcius gähnte nun hemmungslos. Deshalb merkte er nicht, wie sehr ich erschrak. Er wollte sich also, wie ich befürchtet hatte, Pompeius anschließen! Er hatte keine Ahnung, auf was er sich da einließ! Ich wusste es dafür ziemlich genau und konnte nichts dagegen unternehmen. Oder etwa doch? Um Zeit zu gewinnen und in Ruhe nachdenken zu können, schlug ich vor: »Leg dich doch ein bisschen hin und ruh dich aus, bevor wir zurückreiten.«
»Du hättest nichts dagegen?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht!«
Er ließ sich nicht länger bitten, humpelte zum Bett hinüber und streckte sich, so wie er war, darauf aus. Es dauerte nicht lange und ich hörte ihn gleichmäßig atmen. Er musste sehr müde gewesen sein. Ich betrachtete ihn. Er sah auf einmal sehr jung aus. Seine Gesichtszüge waren völlig entspannt. Ich kam mir vor wie damals, als er mit Fieber krank im Bett gelegen und ich ihn heimlich beobachtet hatte. Nur zu gut erinnerte ich mich an die ersten Nächte, in denen ich Angst gehabt hatte, ihn zu verlieren. Würde sich das denn nie ändern?! Marcius’ Ankündigung, sich Pompeius anzuschließen ... Nein, ich wollte lieber nicht darüber nachdenken! Nicht jetzt! Wir hatten ohnehin so wenig Zeit für uns. Ich erhob mich von der Bank und legte ein paar Holzscheite aufs Feuer, von denen offenbar einige feucht waren. Funken stoben, es zischte und prasselte.
Besorgt drehte ich mich zu Marcius um. Ich wollte ihn auf keinen Fall beim Schlafen stören. Aber er rührte sich nicht. Nicht einmal seine Augenlider flatterten. Auf Zehenspitzen schlich ich mich zu ihm hinüber und setzte mich auf die Bettkante. Keine Reaktion. Er schlief tief und fest. Im
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