Tender Bar
Aber ich hatte es dem Sohn versprochen. Stephen Junior.
Als ich in die Redaktion zurückkehrte, sah ich den verantwortlichen Redakteur vom Wochenende. Ich ging zu seinem Schreibtisch. Er legte mir eine Hand auf den Arm und fragte die anderen, um ihn versammelten Kollegen: »Was sagt ihr zu diesem Moehringer, hm?«
Er sprach meinen Namen so melodisch aus, dass er mir fast gefiel. »Gut gemacht«, sagten die anderen.
»Solide Arbeit.«
»Haben Sie gesehen, dass die Nachrichtenagenturen es mit Ihrer Geschichte aufnehmen wollten?«, fragte mich der Wochenendredakteur. »Aber es gelang ihnen nicht. Haben die Familie nicht gekriegt. Nicht mal den Namen konnten sie richtig buchstabieren. K-e-I-I-y haben sie geschrieben.« Er lachte spöttisch.
»Ich will ehrlich sein«, sagte ich. »Eben habe ich mit der Familie telefoniert.« Meine Stimme zitterte. »Allem Anschein nach schreibt sich der Nan‹e K-e-l-l-y.«
Der Redakteur schaute mich entgeistert an. Ich fuhr mutig fort.
»Der Sohn erklärte mir gestern, einige Zeitungen hätten den Familiennamen falsch geschrieben – übrigens auch diese Zeitung. In unserem ersten Kurzbericht über die Schießerei schrieben wir den Namen K-e-I-l-e-y. Also sagte ich zu dem Sohn: ›K-e-I-I-e-y, richtig?‹, und meinte damit: So buchstabieren Sie Ihren Namen, richtig? ›Und er sagte: Ja‹, meinte aber: ›So haben die anderen Zeitungen unseren Namen falsch geschrieben.‹ Das Ganze war ein großes Missverständnis.«
Der Redakteur nahm einen Bleistift in die Hand, ließ ihn einen halben Meter über seinem Schreibtisch baumeln und dann fallen. Er sah aus, als würde er gern das Gleiche mit mir machen. Seine Augen schrien: Du bist geliefert, Kleiner. Ich hielt seinem Blick so lange wie möglich stand, dann senkte ich den Kopf. Mir fielen seine überaus schönen Hosenträger auf. Beige, mit Bildern von Hulamädchen. Erst kürzlich hatte ich sie in einem exklusiven Herrengeschäft auf der East Side gesehen.
»Wir müssen eine Berichtigung bringen«, sagte er ruhig.
»Gut.«
»Ich setze eine auf und schicke sie Ihnen. Werfen Sie einen Blick drauf und geben mir Bescheid, ob alles stimmt.«
Ich ging wieder an meinen Schreibtisch und wartete auf meinen täglichen Auftrag, der nie kam. Was kam, war nur die Korrektur. »In einer Bildunterschrift und einem Artikel vom Samstag wurde der Name falsch geschrieben. Der Mann aus Brooklyn, der bei einem Streit um einen Parkplatz erschossen wurde, hieß Stephen Kelly.«
Später, als ich zum ersten Mal seit siebenundzwanzig Tagen wieder im Publicans saß, erzählte ich Onkel Charlie von meinem Faux pas. Er knallte eine Flasche auf die Theke. »Wie konnte das passieren?«, fragte er. Ich wusste nicht so recht, ob er verärgert war oder nur enttäuscht.
Ich sehnte mich danach, mit meiner Mutter zu reden, doch am Telefon stand eine Schlange und niemand hatte bemerkt, dass in der Telefonkabine jemand ohnmächtig geworden war. Egal. Noch vor wenigen Stunden hatte ich mir ein triumphales Telefonat mit meiner Mutter vorgestellt, in dem ich ihr sagen wollte, sie solle sich langsam die Kurse aussuchen, weil ich sie bald an die Arizona State University schicken würde. Jetzt brauchte ich Zeit, um mich an diese neue Realität zu gewöhnen.
Ich war ziemlich betrunken, als Bob the Cop angetrottet kam. »Ich habe schon Leichen aus dem Hafen gefischt, die besser aussahen als du«, sagte er.
Ich erzählte ihm die Geschichte.
»Wie konnte das nur passieren?«, fragte er.
»Ich weiß nicht.«
Er seufzte. »Nun ja«, sagte er, »vergiss es. Ein ehrlicher Irrtum. Deswegen gibt es Bleistifte mit Radiergummi.«
»Du verstehst das nicht«, sagte ich verärgert. »Mir tun die Söhne leid. Erst wird ihr Vater von einem Cop niedergeschossen, dann komme ich mit meinem blöden Notizblock vorbei und mache alles noch schlimmer. Das kann man nicht einfach vergessen. Eine Million Exemplare sind gedruckt. Die sind überall da draußen, eine Million schreiende Beweise für meine Dummheit. Und wenn die Zeitungen verschwunden sind, wird mein Fehler weiterleben. Auf Mikrofilm. In Online-Datenarchiven. Schließlich ist er mir nicht in irgendeinem Blatt unterlaufen, sondern in einer der wichtigsten Zeitungen, dem Flaggschiff der Presse. Dank meiner Dummheit muss sich das Flaggschiff jetzt berichtigen. Und das Schlimmste dabei ist, dass ich nicht das Alter oder die Hautfarbe verwechselt habe, sondern den Namen. Ausgerechnet ich sollte ja wohl in der Lage sein, den Namen eines
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