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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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und ich widersprach seiner Ansicht, nicht weil ich anderer Meinung war, sondern weil ich befürchtete, mein Kopf könnte auf den Tresen knallen, wenn ich nicht weiterredete.
    »Warum hältst du nicht deine gottverdammte Klappe?«, sagte Smelly. Alle verstummten. Cager, der zwischen Smelly und mir stand, sagte Smelly, er solle sich abregen.
    »Nein«, erwiderte Smelly. »Mir stinkt dieser Schwätzer, der sich einbildet, alles zu wissen. Nur weil er in Yale studiert hat, hält er sich für Mister Neunmalklug. Dabei hat er keine Ahnung.«
    »Beruhige dich«, sagte General Grant.
    »Scheiß drauf!«, sagte Smelly. Stiernackig und hängebäuchig wie er war, ging er um Cager herum auf mich zu.
    Welchen Draht in Smellys geistigem Sicherungskasten hatte ich wohl zufällig durchgeschnitten? Ich versuchte, etwas zu meiner Verteidigung vorzubringen, doch mit Worten war Smelly in diesem Moment nicht aufzuhalten. Keine Kugel hätte ihn aufhalten können. Er legte die kurze Distanz zwischen uns in zwei Schritten zurück, und zwar erstaunlich geschmeidig für einen Mann seines Umfangs. Dann streckte er die Hände aus und packte mich am Hals, als wäre er ein Seil, das er erklimmen wollte. Er drückte fest zu und ich spürte, wie sich meine Luftröhre schloss. Ich glaubte schon, Smelly könnte mir den Kehlkopf zerquetschen und meine Stimme für immer ruinieren, sodass ich hinterher kratzig und heiser wie Mr Sandman klingen würde, und das flößte mir mehr Angst ein als die Aussicht – die wahrscheinlichere Aussicht –, stranguliert zu werden.
    Smelly schob mich rückwärts und verrenkte mir den Hals noch starker. Seine Hände rochen nach Knoblauch und Fleisch. Smellys Hände riechen muffig. Ich hoffte, dies wäre nicht mein letzter Gedanke. Ich griff nach oben und wollte seine Hände von meinem Hals ziehen, aber sie waren glitschig, und sein Griff war eisern. Ich dachte daran, ihm eine zu schmieren, wollte ihn aber nicht noch mehr verärgern. Ich sah ihm tief in die Augen – doch seine Augen hatten keine Tiefe, es waren schwarze Punkte, die Augen einer Trickfilmfigur. Dazwischen zitterten seine orangefarbenen Augenbrauen, die ein perfektes V bildeten, und wie sein rötlicher Schnauzer und das rötliche Haar auf seinem Kopf glitzerten die Augenbrauen von Schweiß. Er war übergewichtig, überreizt, über die Maßen betrunken und orangefarben wie ein Glas 0-Saft. Er war eine Kreuzung zwischen Yosemite Sam und Son of Sam – und dies, da war ich sicher, würde mein allerletzter Gedanke sein, denn Smelly war entschlossen, mich umzubringen.
    Obwohl Smelly mir den Hals umdrehte, hasste ich ihn nicht. Ich liebte ihn genauso wie alle Männer in dieser Bar, und während ich langsam das Bewusstsein verlor, empfand ich nur Hass auf mich selbst, weil ich ihn liebte, weil ich jeden Mann liebte, der mir Aufmerksamkeit schenkte, und sei es, dass diese Liebe die Form von Mord annahm.
    Smelly stieg empor. Er schwebte in Richtung Decke wie ein Racheengel, und diese Vision war sicherlich das erste Zeichen des nahenden Todes. Dann sah ich plötzlich Cager über Smellys Schulter. Er hielt Smelly am Hosenbund und hob ihn wie ein Gewichtheber mit einem klassischen Doppelstoß hoch. Smelly ließ meinen Hals los, Luft strömte in meine Junge. Meine Stimmbänder vibrierten. Ich fiel zu Boden, eine Sekunde später gefolgt von Smelly, der weitaus härter landete, weil Cager ihn wie einen Speer in den Holzfußboden stieß.
    Cager stand über Smelly und schob sich die Ärmel hoch. »Wenn du ihn noch einmal anrührst«, sagte er zu Smelly, »bring ich dich um.«
    Ich lag auf dem Rücken, rieb mir den Hals und blickte zu Cager auf. Nie hatte ich einen Mann mehr geliebt. Er rückte seine Schildkappe gerade, ging wieder an die Theke und trank einen Schluck Budweiser.
    »So«, sagte er. »Wo war ich nochmal?«
    Mit gesenktem Kopf ging ich nach Hause zu Opa und zählte meine Schritte – 170. Das sind 28 mehr als sonst, was heißt, ich geheim Zickzack. Auf Opas Esszimmertisch lag ein Geschenk für mich. Es war von Sheryl. Sie hatte vor kurzem geheiratet, und die Gründung ihrer eigenen Familie hatte sie angeregt, über ihre ursprüngliche Familie nachzudenken, alte Filme durchzusehen und die interessantesten auf Video zu überspielen. Sie hatte mir ein Band mit einem Zettel hinterlassen. Dachte mir, das könnte dir gefallen.
    Ich schob das Band in den Videorecorder, legte mich auf das zweihundertjährige Sofa und hielt mir eine Bierdose an den Hals, wo ich noch

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