Tentakel-Trilogie 1: Tentakelschatten
zögerlich begann der eine oder andere Vogel wieder mit seinem Lied. Rahel erwartete nicht, dass die Kakophonie des Dschungels in der Nähe des Stützpunktes sehr beeindruckend sein würde. Es war, als würden die Tiere den Eindringling instinktiv ablehnen und sich so weit wie möglich von ihm entfernen wollen.
Rahel konnte es ihnen nicht verdenken, ihr blieb diese Option allerdings leider nicht.
Es vergingen in der Tat etwa zwei Stunden, bis sie sich in unendlicher Langsamkeit dem Perimeter des Stützpunktes genähert hatte. Eine natürliche Lichtung auf felsigem Boden war durch den Feind erweitert worden.
Rahel sah noch die verbrannten Baumstümpfe, die davon zeugten.
Der Stützpunkt selbst bot einen sowohl fremdartigen wie auch vertrauten Anblick.
Vertraut deswegen, weil er in seiner Anordnung dem entsprach, was Tooma von einer schnell errichteten Ansiedlung in fremdem Territorium erwartete: Ein zentrales Gebäude in der Mitte, das aussah wie ein gigantisches, aufblasbares Zelt von sicher dreißig Meter Durchmesser. Die Oberfläche wirkte milchig-trübe, und warf man einen Blick, erwartete man jeden Augenblick, hindurch sehen zu können, aber konnte dann doch nichts erkennen. Darum gruppierten sich kleinere Bauwerke unterschiedlicher Form und, da begann die Fremdartigkeit, für Rahel nicht definierbarer Funktion. Um den Stützpunkt zog sich ein Sicherheitsperimeter, der aus einem offenbar elektrisch geladenen Zaun, einer Batterie von Lichtschranken und in Dreiergruppen patrouillierender Tentakelkrieger bestand. Fremdartig war auch, dass innerhalb des Lagers so gut wie kein Fußverkehr zu erkennen war. Hin und wieder summte ein Bodenfahrzeug umher und verschwand in Richtung des kleinen Landefeldes, auf dem der Transporter vor einigen Stunden gelandet und der dort immer noch als einziges Fahrzeug zu erkennen war.
Aber ansonsten wirkte der Stützpunkt seltsam verlassen. Tooma war sich sicher, dass er alles andere als leer war, aber eine menschliche Ansiedlung gleicher Art würde vor Soldaten nur so wimmeln, und die Geräusche ihrer Existenz würden unüberhörbar sein. Das kam in punkto Fremdartigkeit noch hinzu: Die fast unnatürliche Stille, die über dem Stützpunkt lag. Der Dschungel war leise genug, doch die Tatsache, dass kein bemerkenswerter Laut aus den Gebäuden oder ihrer Umgebung an ihr Ohr gelangte, irritierte Tooma mehr als alles andere.
Sie legte sich in eine bequeme Position auf den Bauch und justierte die optischen Instrumente ihres Helmes. Das Visier war mit einer stufenlos verstellbaren, digitalen Optik verbunden, die die Eigenschaften eines Feldstechers, einer Kamera, eines Nachtsichtgerätes, eines Infrarotspürers sowie eines HUDs, eines Head-Up-Displays, miteinander verband und als Multifunktionsgerät wesentlich dazu beitrug, dass sich Rahel auf ihre Augen als einziges optisches Werkzeug nicht verlassen musste. Die Justierungen konnte sie auf zwei Wegen vornehmen: Mit ihrer rechten Hand auf der flachen Drucktastatur an ihrem linken Unterarm, oder mit der Zunge an dafür speziell entwickelten Tasten innerhalb ihres Helmes. Letzteres versuchte sie zu vermeiden, wenn es sich irgendwie einrichten ließ, denn trotz aller Versuche, die Plastiktasten geschmacksneutral zu halten, fanden immer wieder Staub und andere Partikel ihren Weg in den Helm. Rahel fühlte sich dann immer so, als würde sie eine Konsole ablecken, und richtig wohlschmeckend war das nicht. Die kleinen Bewegungen, die notwendig waren, um die Tastatur aufzuklappen und die notwendigen Justierungen manuell einzugeben, würden ihre Tarnung sicher nicht gefährden.
Sie stellte den Zoom ein und ließ sich Zeit damit, den gesamten Stützpunkt sorgfältig zu observieren. Dann schweifte ihr Blick über die verschiedenen Gebäude, verharrte bei Einzelheiten, die ihr erst jetzt deutlich wurden, und fuhr dann meist in der Erkenntnis fort, dass die größere Detailtreue nur ihre Verwirrung vergrößerte, anstatt zur Aufklärung beizutragen. Einige militärische Erkenntnisse machte sie schon fast nebenbei: Vom Sicherheitsperimeter und den Patrouillen abgesehen gab es keine weiteren Abwehreinrichtungen. Die Tentakel schienen sich ausgesprochen sicher zu fühlen und wollten sich offenbar nur gegen unliebsamen Besuch lästiger Raubtiere verteidigen, aber kaum gegen eine organisierte militärische Macht. Anscheinend glaubte man die menschliche Gegenwehr auf Lydos in der Tat niedergekämpft, und Rahel wunderte das nicht. Das Militär war
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