Tentakel-Trilogie 2: Tentakeltraum
und die Passagiere zum Tempel würden heraus strömen, sich vermischen, etwas plaudern und entspannt darauf warten, dass ein Signal sie zum Besteigen des für sie zuständigen Schwebebusses aufforderte. Sie machte sich bereit. Von ihrer Position aus war kein Tentakel zu sehen, was aber nicht bedeutete, dass nicht doch noch irgendwo eine Patrouille ihre Kreise zog. Bei ihren Beobachtungen hatten Maschek und sie festgestellt, dass die Bereiche dieser Wachgänge meist am Dorfrand lagen, und diesen Perimeter hatte sie gestern ja bereits ohne Probleme durchbrochen. Mit etwas Glück würde sich die Aufmerksamkeit der Tentakelsoldaten weiterhin nach außen richten, so dass sie hier ihrem Tun relativ ungestört nachgehen konnte.
Rahel musste nicht allzu lange warten.
Als sich die Tür des Gebäudes öffnete und immer noch weit und breit keine Tentakelsoldaten erkennbar waren, entspannte sich Rahel etwas. Als unter den ersten fünf Menschen, die, in farbenfrohe Gewänder gekleidet auf den Vorplatz traten, eine Frau war, die in ihrer Statur und Größe etwa Rahel entsprach, schien sich Rahels Vorstellung eines idealen Opfers sogleich erfüllt zu haben. Jedenfalls schien sie zu den Tempelbesuchern zu gehören. Rahel beobachtete, wie sich der Platz langsam füllte und wie sich die größer werdende Menge zu verteilen begann. Die meisten waren in lebhafte Gespräche vertieft, wirkten von hier gelöst und angeregt. Sie wirkten nicht wie verbissene Kollaborateure, ganz sicher nicht wie von Selbstvorwürfen geplagte, in den Dienst gepresste Lakaien. Sie wirkten …
Aufgeputscht.
Das war das Wort, nach dem Rahel gesucht hatte. Sobald es in ihrem Bewusstsein auftauchte, sah sie die plaudernde Gruppe in einem ganz anderen Bild. Und als ihr Zielobjekt, allein, langsam und in Gedanken versunken in ihre Richtung trabte, aktivierte sie die Chamäleonfunktion ihrer Rüstung und trat ins Freie.
Niemand sah auch nur in ihre Richtung. Zwei der Menschen spazierten in ein Gespräch vertieft an ihr vorbei. Sie hörte nur kurz, worum es ging.
»Keinesfalls ist das eine Sache, die wir einfach so.«
»Ich auch nicht, aber ich denke schon.«
»Vielleicht aber oder auch.«
»Bin schon der Meinung, wir sollten mal.«
Rahel blickte dem Paar nach, das vom ganzen Habitus her so wirkte, als führe es ein ernsthaftes, interessantes Gespräch. Doch die damit verbundenen Lautäußerungen stellten sich als zusammenhangloser Blödsinn heraus.
Ihr Misstrauen verstärkte sich dadurch nur. Für sie wirkten die fröhlichen Menschen wie aufgezogene Puppen, die nichts anderes taten, als für den entfernten Beobachter einen Eindruck zu erwecken. Doch wer war dieser Beobachter? Das konnten doch kaum Rahel und ihre Gruppe sein! Und für sich selbst, zur Befriedigung eines absurden Spieltriebes, würden die Tentakel diesen Aufwand doch nicht betreiben!
Das Bedürfnis, mehr herauszufinden, wurde in Rahel immer stärker. Eine Ahnung stieg in ihr hoch, verbunden mit Furcht und Hoffnung zugleich. Konnte dies etwas bedeuten …?
Sie holte den kleinen Container mit Betäubungsspray aus einer Tasche der Rüstung. Sie hatte ihn aus den kargen medizinischen Vorräten der Flüchtlinge entnommen.
Dann kam ihre Zielperson direkt auf sie zu. Rahel sah, dass sie offenbar die Absicht hatte, direkt an einem Baum am Rande des Platzes vorbei zu laufen. Das war ihre Chance.
Sie trat einen Schritt vor und sah sich um. Die anderen Menschen wanderten woanders umher, niemand schien in die Richtung ihres Opfers zu schauen. Rahel erreichte den Baum. Die Frau kam näher. Sie war dort schlank, wo Rahel muskulös war, aber der Unterschied würde sich unter der weiten Kleidung, die sie trug, verwischen. Sie blickte auf, sah durch Rahel hindurch und sagte plötzlich: »Katzenragout! Gedünstet!«
Bevor sie die Details des Rezepts verraten konnte, schnellten Rahels Hände vor. Zielsicher ergriff sie die Frau, hielt ihr den Mund zu. Ein sanftes Zischen ertönte, als das Spray direkt in die Nase der Frau eindrang. Sie wehrte sich zu keinem Zeitpunkt. Rahel fühlte, wie der Körper in ihren Armen erschlaffte. Noch stand sie hinter dem Baum, etwa drei Meter vom Geräteschuppen entfernt.
Rahel zog den Körper der Bewusstlosen an sich und machte einen Schritt vorwärts.
Plötzlich standen zwei Spaziergänger direkt vor ihr.
Sie mussten ihren Weg plötzlich verändert haben und waren direkt auf den Baum zugelaufen. Sie sprachen miteinander und schauten hoch. Was sie sahen, war eine
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