Tentakelwacht
einmal schien er doch Zeit dafür zu haben, sich eingehender mit allem zu befassen, was Mirinda anzubieten hatte, und darüber hinaus hatte er keine Lust, die fünfte Möglichkeit zu diskutieren, ja auch nur an sie zu denken. Nämlich, dass erwartet wurde, dass er mit seiner Kapsel durch dieses Portal reisen würde, in Richtung …
Wohin auch immer.
Slap beschloss, sich doch noch ein viertes Bier zu holen und alles daranzusetzen, Mirinda, die Teilchenphysikerin, bis zur Besinnungslosigkeit zu ficken.
Das war eine Perspektive, mit der er leben konnte.
22
Der Typ lag auf dem Boden, direkt auf den Glasscherben, und war noch am Leben. In seinen Augen las Roby mehr Angst, als er sehen wollte. Er wusste, wie der Mann sich fühlte: Das Ende stand bevor, die Tentakel kamen und da war die verzweifelte Begierde danach, noch etwas zu erleben, noch einmal in das Leben einzutauchen, alles zu machen, alles zu dürfen, bis dann irgendwann nichts mehr möglich sein würde. Dazu gehörte in diesem Falle auch, ein Einkaufszentrum auszuplündern und sich mit alledem zu versorgen, was man sich vorher niemals hatte leisten können. Es gab hier kein Unrechtsbewusstsein mehr. Es war doch sowieso alles egal. Alle ihre Ärsche gehörten längst den Tentakeln, ungeachtet der Durchhalteparolen der Regierung. Worauf also noch Rücksicht nehmen ?
Roby verstand ihn gut. Und jetzt war der Mann darin gescheitert, lag mit blutigem Rücken in Glasscherben und würde in seiner Gefängniszelle von Tentakeln gefressen werden. Nicht das Ende, das er sich vorgestellt hatte. Der Typ, in seiner ganzen verzweifelten Armseligkeit, rührte Robys Mitleid. Doch als der Plünderer sich mit verzerrtem Gesicht aufrichtete und zitternd, aber entschlossen seine Waffe auf Roby richtete, erschoss dieser ihn.
Keine Verzweiflung mehr, immerhin. Roby wandte seinen Blick ab. Er wusste gar nicht, was er eigentlich noch empfinden sollte, und er hatte auch keine Lust, sich großartig darüber Gedanken zu machen.
Sie räumten hier jetzt nur noch auf.
Die Glassplitter knirschten unter seinen Stiefeln. Trotz des Vorfalls gerade eben war Roby entspannt. Der Widerstand der Plünderer war schnell zusammengebrochen. Einige wollten es bis zuletzt nicht einsehen, aber die meisten hatten sich schließlich ergeben. Roby stapfte durch das verwüstete Zentrum. Die Auslagen waren überall verteilt worden, Mode, Spielsachen, Parfums – die Luft wurde durch eine abenteuerliche Mischung aus Betäubungsgas und Duftwässerchen geschwängert, und Roby war sich nicht einmal sicher, was jetzt was war – und ab und an gab es ein Geschäft, das relativ unbeschädigt wirkte. So etwa das kleine Antiquariat, in dem man noch gebundene Bücher aus Papier erwerben konnte. Dafür hatte sich erwartungsgemäß keiner interessiert. Ein paar der Werke lagen aber trotzdem auf dem Boden, von der Wucht diverser Explosionen fortgewirbelt, mit denen sich Robys Leute Einlass verschafft hatten. Er hob ein Buch auf, schaute auf den Umschlag, der ein Gewehr zeigte, durch dessen Zielsuchgerät man blicken konnte. »Kalte Spuren«, las Roby laut vor, schüttelte den Kopf und stopfte es in ein Regal. Ihm war nicht nach Actionliteratur zumute, dafür erlebte er derzeit zu viel von dem Scheiß am eigenen Leibe. Wahrscheinlich war es nicht einmal besonders gut geschrieben.
Roby blieb stehen und beobachtete, wie seine Leute durch das Einkaufszentrum strichen, um nach versteckten Plünderern Ausschau zu halten. Die meisten der Geiseln waren unverletzt befreit worden, was definitiv der Pluspunkt des Tages war. Roby fühlte sich müde und schaute auf die Uhr. Es war später Nachmittag. Er hoffte, dass dieser Einsatz bald ein Ende finden würde.
Er wandte sich um und sah, wie eine Kolonne Polizisten sich durch die zerschossene Fassade arbeitete. Roby drückte den Sendeknopf seines Funkgeräts.
»So, Leute, die Polizei ist eingetroffen und übernimmt ab hier. Wir sammeln uns vor den Mannschaftswagen. Vollständigkeitsappell, dann Rückweg zur Kaserne. Wenn jemand verletzt ist, gleich bei den Sanis melden. Keine unnötigen Heldenposen, dafür werdet ihr noch Gelegenheit genug haben.«
Es knackte mehrmals in den Ohrstöpseln, als die Bestätigungen der Unterführer eintrudelten. Roby befolgte seinen eigenen Befehl und stapfte ins Freie, über die Barrikaden hinweg bis zum Sammelpunkt, wo die Offiziere, die diesen Einsatz irgendwie geleitet hatten, schon auf ihn warteten. Er sah der Perspektive eines
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