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Tentakelwacht

Tentakelwacht

Titel: Tentakelwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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versuchte, die Bahnen der einfliegenden Raketenschwärme zu skizzieren, die Trajektorie der anfliegenden Schiffe, die Projektionen ihres voraussichtlichen Aufeinandertreffens. Der Kurs, den die Station ihnen signalisierte, führte so weit wie möglich vom Kampfgeschehen weg, durch einen dreidimensionalen Korridor, der sich ständig in Bewegung fand, der aber zunehmend von der irdischen Flotte abgeriegelt wurde.
    Möglichst weit, vielleicht. Weit genug aber nicht.
    »Wir werden den Schirm erneut aktivieren müssen«, hörte er Mirinda sagen. »Streifschüsse wird er abwehren. Einen Volltreffer werden wir beide nicht überleben.«
    Die Art, mit der sie »wir beide« sagte, gefiel Slap. Er hoffte, dass sie es nicht nur als technischen Begriff meinte, sondern tatsächlich ein gewisses Bedauern darüber empfand, eventuell mit ihm gemeinsam in einer Nuklearexplosion zu vergehen.
    Was er gleichfalls sehr bedauern würde.
    Es blieb möglicherweise nicht mehr viel Zeit dafür, das zu tun, was er sich unlängst vorgenommen hatte. Für einen winzigen Moment fühlte er ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen. Weniger gegenüber seinen Vorgesetzten, aber doch gegenüber Mirinda. Er hatte die Absicht, ihren guten Willen zu missbrauchen. Das würde allerdings nur gelingen, wenn er der Zusicherung der Allianz Vertrauen schenken konnte, dass seit seiner Ankunft im Allianz-System sein Kopf wieder ganz ihm gehörte und niemand seine Gedanken überwachte. Er musste es drauf ankommen lassen.
    »Mirinda, ich habe technische Probleme. Ich möchte meine Berichte über die Allianz gerne sofort an das Hauptquartier weiterleiten. Aber meine Kommunikationseinrichtungen sind beschädigt. Die Signalstärke ist zu schwach und ich kann keinen Richtstrahl mehr etablieren. Ich benötige deine Hilfe. Bitte leite dieses Datenpaket einfach in das irdische Funknetz weiter. Ich gebe dir die Ziffern für den Datenknotenpunkt sowie Sendestärke und -richtung. Kannst du das tun? Ich würde mich besser fühlen, wenn ich das vom Hals hätte, falls … falls wir es nicht schaffen sollten.«
    Wie zur Untermauerung seiner Aussage durchfuhr ein Ruck die Kapseln, als ein Raketengefechtskopf durch das Abwehrfeuer der Zerstörer in relativer Nähe zur Explosion gebracht wurde. Es dauerte nur Sekunden, dann vernahm er wieder Mirindas Stimme.
    »Bereit zur Übertragung!«
    Slap agierte sofort. Es dauerte eine Sekunde, dann hatte er sich in das Kommunikationssystem der Dicken eingeloggt. Ein normales Trägersignal für Nahkommunikation war deutlich weniger verschlüsselt als direkte Kontakte mit dem irdischen Funknetz, die der allseitigen Zensur der KIs unterlagen. Wenn es ihm also gelingen sollte, die Dateien über die Allianzkapsel abzustrahlen, würden die Autoritäten es möglicherweise nicht einmal merken, wenn sie irgendwann auf dem designierten Knotenpunkt der Erde ankamen.
    Und dann war es zu spät.
    Slaps Freunde würden dafür sorgen, dass sich die Nachrichten in Windeseile verbreiteten.
    Er machte sich da keine Illusionen. Man würde es irgendwann zu ihm zurückverfolgen und er würde dann zur Rechenschaft gezogen werden. Aber das war akzeptabel. Bis dahin sollte jeder Erdenbürger mit offenen Ohren und Augen wissen, was die Allianz der Sphärenführung anbieten konnte und was nicht. Und man würde Fragen stellen. Fragen wie: Wer wird evakuiert? Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl? Und: Warum ich nicht?
    Slap spürte für einen Augenblick einen leisen Selbstzweifel, ob er das Richtige getan hatte. Aber die Vorstellung, dass die einzigen Überlebenden der Menschheit ein paar Offiziere und Wissenschaftler sowie ein Haufen DNA-Material sein würde, ohne dass irgendwer sonst auch nur die Chance bekam, ausgewählt zu werden, widerstrebte ihm zu sehr.
    Er berührte ein Symbol und die Nachricht fand ihren Weg zur Allianzkapsel. Und Augenblicke später bestätigte ihm Mirinda, dass sie das Signal weitergeleitet habe. Jetzt gab es keine Zeit mehr für Zweifel. Die Büchse der Pandora hatte sich geöffnet. Mal sehen, wie die Menschen damit umgehen würden.
    Slap lehnte sich zurück und seufzte.
    Er war müde.
    Jetzt war ihm, als hätte er all die aufgestaute Energie, produziert durch die Verdammung zum Nichtstun, durch diesen kleinen Akt des Verrats verbraucht. Er ließ sich die Daten ihres Aufstiegs ins Gehirn projizieren und fragte sich, ob die medizinische Automatik ihm wieder Kaltmacher gegeben hatte, so unbeteiligt betrachtete er das taktische Display.

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