Teranesia
ihrer Worte verfolgen, ohne seine Klasse zu vernachlässigen. Und wenn sie kurz vor der Mittagspause genau vor dem Fenster seines Klassenzimmers vorbeikam, starrte er auf den Boden, täuschte eine Migräne vor oder legte sich eine Hand vor die Augen, damit sich ihre Blicke nicht zufällig trafen und die altklugen Schüler nicht an seinem Gesicht ablesen konnte, was los war.
Prabirs Mutter bezeichnete ihre Eltern als ›pseudosozialistische Heuchler der oberen Mittelklasse‹. Wenn ihre Tochter Frauen der unteren Kasten in Karate unterrichtete und in ständigem Kontakt mit berüchtigten Atheisten stand, konnte man das als fortschrittlich und kühn betrachten. Wenn man dagegen erzählte, dass sie einen Buchhalter geheiratet hatte, der drei Jahre jünger als sie war und sich aus den Slums nach oben gekämpft hatte, eignete sich das nicht unbedingt zur beiläufigen Erwähnung auf einer Party. Sein Vater betrachtete es versöhnlicher und pflegte nur zu sagen: »Was soll man angesichts ihres Hintergrundes schon erwarten?«
Radha studierte Genetik an der Universität von Kalkutta. Beide trafen sich früh am Morgen heimlich in Parks und Cafes – bevor Rajendras Arbeit begann und lange bevor Radhas erste Vorlesung begann, aber sie hatte die Möglichkeit, jederzeit ihr Karate-Training vorzuschieben. Rajendra mühte sich immer noch mit der Highschool-Biologie ab, aber Radha konnte ihm Nachhilfe geben. In dieser Zeit richteten sie ihren Blick auf ein gemeinsames Ziel: Sie wollten später als Forscher zusammenarbeiten. Irgendwann, irgendwie. Prabir war überzeugt, dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen war – obwohl keiner seiner Eltern jemals etwas in dieser Richtung erwähnt hatte –, aber letztlich war es die Biologie, die sie zusammengeschweißt hatte, enger als unter normalen Voraussetzungen. Prabir prustete, als er heimliche Treffen auf Parkbänken schilderte – Finger, die zitternd die Seiten von Lehrbüchern umblätterten, Geflüster über die Phasen des Lebenszyklus einer Zelle. Doch obwohl all diese Dinge ihn amüsierten und verlegen machten und gelegentlich an seinem Gewissen nagten, fühlte er sich niemals wie ein Dieb oder ein Verräter, der fremde Geheimnisse preisgab. Auch wenn er diese Geschichte in erster Linie für Eleanor erzählte, wurde die Beschäftigung mit dem Leben seiner Eltern zu etwas Ähnlichem wie Madhusree in die Augen zu starren und zu verstehen, was er dort sah. Doch in diesem Fall hatte er keine Erinnerungen, an denen er sich orientieren konnte, nur Bücher und Filme, die vorsichtigen Andeutungen seiner Eltern und seine eigene Phantasie, um alles weitere zu ergänzen.
Rajendra bekam ein Stipendium, mit dem er die Universität besuchen konnte. Als sich ihnen plötzlich viel mehr Gelegenheiten boten, sich zu sehen, ließ ihre Diskretion nach. Als ihre Affäre bekannt wurde, zog Radha aus und kappte alle Verbindungen zu ihrer Familie. Sie war noch nicht für eine akademische Stellung qualifiziert, aber sie konnte sich ihren Lebensunterhalt als Laborassistentin verdienen. Eines Nachts wurde Rajendra auf dem Universitätsgelände von vier Männern überfallen und krankenhausreif geschlagen. Es konnte nie bewiesen werden, wer sie geschickt hatte. Als er sich erholt hatte, versuchte Radha ihm beizubringen, sich zu verteidigen, aber Rajendra erwies sich als der unbegabteste Schüler, den sie jemals gehabt hatte. Er war kräftig, aber hoffnungslos ungeschickt, möglicherweise als Folge der Mangelernährung in seiner Kindheit.
Damit Eleanor sich deswegen kein schlechtes Bild von seinem Vater machte – zu diesem Zeitpunkt konnte Prabir selbst nicht mehr genau unterscheiden, um wessen Ehre es eigentlich ging –, schickte er ihr ein Foto, das Rajendra in einer IRA-Parade zeigte, wie er einen Wagen durch Kalkutta zog, an einem Seil, das allein durch zwei Metallhaken gehalten wurde, die in der Haut seines Rückens steckten. Nun, nicht ganz allein, denn neben ihm ging ein Freund, der die Last mit ihm teilte. Die sichtbare Spannung der Seile und die von den Haken langgezogene Haut ließen es aussehen, als stünden beide Männer kurz davor, enthäutet zu werden, aber trotzdem lächelten sie. (Ein Lächeln über zusammengebissenen Zähnen, aber selbst jemand, der auf normale Weise einen Wagen durch die Hitze von Kalkutta zog, hätte vor Anstrengung die Zähne zusammengebissen.)
Ähnliche Leistungen wurden im Rahmen bestimmter religiöser Feste vollbracht, wenn sich die Anhänger in einen Wahnsinn
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