Teranesia
hineinsteigerten, der im Durchstechen des Körpers, dem Gang über glühende Kohlen oder anderen wundersamen Demonstrationen der Unverwundbarkeit gipfelte – geschützt durch Reinigungsrituale, den Segen eines Heiligen und die Unerschütterlichkeit ihres Glaubens. Doch Rajendra und der zweite menschliche Zugochse waren von niemandem gesegnet worden und hatten laut verkündet, dass sie an nichts außer der Zähigkeit und Elastizität gewöhnlicher Menschenhaut glaubten. An den richtigen Stellen ließen die Haken kaum Blut austreten, und eine größere Hautfläche konnte die Belastung mühelos aushalten, selbst wenn das zerrende Gefühl für die Uneingeweihten irritierend war. Ein ›Trancezustand‹ oder eine ›Selbsthypnose‹ – ganz zu schweigen von übernatürlichen Einwirkungen – waren völlig unnötig, um den Schmerz auszublenden oder die Blutung zu stoppen; und die größte Gefährdung der Gesundheit ließ sich dadurch vermeiden, indem die Haken sorgfältig sterilisiert wurden. Trotzdem war eine gute Portion Mut erforderlich, um sich an einem so makabren Spektakel zu beteiligen, doch das Wissen um die relevanten anatomischen Tatsachen war mindestens ein genauso gutes Mittel gegen die Furcht wie religiöse Hysterie.
Prabir ersparte Eleanor ein Foto seiner Mutter, das sie mit Spießen in den Wangen und der Zunge zeigte – obwohl auch das genauso ungefährlich und schmerzfrei war wie die Haken, wenn man sich gezielt bemühte, nicht die größeren Nerven und Blutgefäße zu treffen. Dieses Bild seiner Mutter machte Prabir sehr stolz, aber es löste gleichzeitig komplexere Empfindungen aus.
Auf dem Foto war es nicht zu erkennen, und sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch nichts davon gewusst, aber am Tag der Parade war sie bereits mit Prabir schwanger gewesen. Die behagliche Vorstellung der idyllischen Mutterleibsexistenz erhielt einen gewissen Beigeschmack, wenn er die Stahlnadeln sah, die im selben schützenden Fleisch steckten.
Rajendra hatte erstmals vom Schmetterling erfahren, als er gerade an seiner entomologischen Doktorarbeit saß. Ein schwedischer Sammler, der ins Land gekommen war, um seltene Stücke aufzukaufen, hatte die Universität aufgesucht, um sich bei der Identifikation eines präparierten Exemplars helfen zu lassen, das er auf einem Markt erworben hatte. Er war von einem akademischen Grad zum nächsttieferen weitergereicht worden, bis er schließlich bei Rajendra gelandet war. Der Schmetterling – ein Weibchen mit Flügeln von zwanzig Zentimetern Spannweite in Schwarz und schillerndem Grün – gehörte offensichtlich zu irgendeiner Spezies der Schwalbenschwänze, da die zwei hinteren Flügel in langen, schmalen ›Schwänzen‹ ausliefen. Doch es gab verwirrende Absonderlichkeiten in gewissen anatomischen Details, die für den unkundigen Betrachter unauffällig, aber von großer taxonomischer Bedeutung waren: das Muster der Adern in den Flügeln und die Position der Genitalöffnungen für die Begattung und die Eiablage. Auch nachdem Rajendra einen ganzen Vormittag in der Bibliothek verbracht hatte, war er nicht zu einer eindeutigen Bestimmung in der Lage. Er erzählte dem Sammler, dass es sich bei diesem Exemplar vermutlich um ein leicht deformiertes Individuum handelte und nicht um den Vertreter einer unbekannten Spezies. Er wusste keine bessere Erklärung und hatte auch keine Zeit, um die Angelegenheit weiterzuverfolgen.
Einige Wochen später – nachdem er erfolgreich seine Dissertation verteidigt hatte – suchte Rajendra den Händler auf, der das Exemplar an den schwedischen Sammler verkauft hatte. Zunächst plauderten sie eine Weile, dann präsentierte der Händler ihm einen zweiten, völlig identischen Schmetterling. Ganze sechs Exemplare waren vor einem Monat von einem regulären Lieferanten aus Indonesien eingetroffen. »Von wo genau?« Aus Ambon, der Provinzhauptstadt der Molukken. Rajendra handelte den Preis auf einen vernünftigen Betrag herunter und nahm den zweiten Schmetterling mit ins Labor.
Die Sektion förderte weitere Anomalien zutage. Mehrere Organe waren völlig anders als gewohnt angeordnet und viele Charakteristika, die ansonsten für die gesamte Ordnung der Lepidopteren typisch waren, fehlten ganz oder waren leicht verändert. Falls all diese Abweichungen eine Serie zufälliger Mutationen als Ursache hatte, war es kaum vorstellbar, wie das Geschöpf das Larvenstadium überlebt haben konnte – ganz zu schweigen von der Entwicklung eines so schönen und vollkommen
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