Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
riesige Bild, die große Gemeinschaft des Publikums. Obwohl er sich erinnerte, dass es in Kalkutta jede Menge Kinos gab, hatte er nie eins besucht; seine Eltern hatten sich lieber Disks ausgeliehen, und er war noch viel zu jung gewesen, um allein ins Kino zu gehen.
    »Und was meinst du dazu?«, fragte Keith, als sie durch das Foyer nach draußen gingen. Er hatte bereits seit Wochen von diesem Ereignis gesprochen; anscheinend war es sein absoluter Lieblingsfilm.
    »Ich denke«, sagte Prabir, »dass das verwöhnte Kind viel besser behandelt wurde, als es das verdient hätte.«
    Keith war entrüstet. »Du weißt hoffentlich, dass der Film autobiographisch ist! Wir sprechen hier über Truffaut!«
    Prabir versuchte, diese neue Information zu berücksichtigen. »Dann ist er wohl viel zu sanft mit sich selbst umgegangen. In Wirklichkeit war er vermutlich sogar noch dümmer und egoistischer.«
    Amita hatte einen sehr vielfältigen Geschmack und nahm ihn mit zu BladeRunner™ OnIce™ mit MusikImStilVon™ GilbertAndSullivan™. Er hatte davon gehört, dass sich die Show vage an einen halbwegs vernünftigen Science Fiction-Roman anlehnte, doch davon war im Nebel, den Laserstrahlen und den schwarzen Gummikostümen nichts mehr zu bemerken. Während der Pause schnatterte eine körperlose Stimme, die sich als ›Radio KJTR‹ bezeichnete, irgendwelchen Schwachsinn über Sex mit Amputierten. Das McDonald’s im Foyer bot eine Spiel/Soundtrack/Novelisation-ROM als kostenlose Zugabe zu jedem bestellten MacBlade™ an, der sich als schäumendes, pinkfarbenes Getränk entpuppte, das an flüssiges Styropor erinnerte. Am schlimmsten war, dass Amita in den folgenden sechs Wochen pausenlos den Song ›I Am the Very Model of a Modern Mutant Replicant‹ summte.
    Gegen Ende ihres dritten Monats in Toronto kam es zu spürbaren Veränderungen im Haushalt, als wäre plötzlich beschlossen worden, dass ihre Eingewöhnungsphase nun vorüber war. Amita gab Dinner-Parties und stellte ihre Pflegekinder ihren Freunden vor. Die Gäste begrüßten Madhusree mit gurrenden Lauten und schenkten Prabir Telefonkarten, deren Chips die Website von Dior enthielten.
    Keiths und Amitas Bekanntenkreis umfasste eine Vielzahl von Berufen, aber seltsamerweise hatten sie alle eins gemeinsam. Arun war Dozent, Schriftsteller, Herausgeber, Gesellschaftsreporter und Dichter. Bernice war Bildhauerin, Performancekünstlerin, politische Aktivistin und Dichterin. Denys war Multimedia-Berater, Werbetexter, Filmproduzent – und Dichter. Prabir war eines Abends sämtliche Visitenkarten durchgegangen, um sicherzustellen, dass er niemanden ausgelassen hatte. Zahnarzt und Dichter. Schauspieler und Dichter. Architekt und Dichter. Buchhalter und Dichter.
    Zum Glück sprach keiner dieser Besucher jemals das Thema Krieg an, wodurch ihnen jedoch kaum etwas anderes übrig blieb, als ihn nach der Schule zu fragen. Immer wenn Prabir zugab, dass seine besten Fächer Naturwissenschaft und Mathematik waren, musste er zu seiner Bestürzung feststellen, dass er damit fast zwangsläufig eine verwirrende Tirade aus Vergleichen mit dem berühmten indischen Mathematiker Ramanujan auslöste. Erkannten diese Leute wirklich nicht, dass er schon viel zu alt für solche Schmeicheleien à la Wenn-du-mal-groß-bist- wirst-du-bestimmt-Astronaut war? Und warum fiel ihnen immer nur Ramanujan ein? Warum nicht Bose oder Chandrasekhar, warum nicht Salam oder Ashtekar, warum nicht (welch unerhörter Gedanke!) irgendein chinesischer, europäischer oder amerikanischer Wissenschaftler? Nach einiger Zeit entdeckte Prabir den Grund dafür: einen Film von Oliver Stone, der im Jahre 2010 herausgekommen war. Amita lieh ihn für Prabir aus. Die Geschichte war mit sitargetränkten halluzinatorischen Besuchen von Hindu-Gottheiten durchsetzt, die dem aufstrebenden jungen Mathematiker Spickzettel zukommen ließen. Am Ende trat Ramanujan von seinem Sterbebett in eine Wüste voller Schlangen, die sich in den Schwanz bissen und zum Unendlichkeitssymbol verschlungen hatten.
    Es gab schlimmere Dinge auf der Welt, als von den Und-Dichtern gönnerhaft behandelt zu werden. Prabir wusste, dass es ihm tausendmal besser ging als den meisten Kriegswaisen – und falls er diese Tatsache jemals vergessen sollte, bombardierte ihn das Fernsehen mit einer Fülle quälender Bilder aus Aceh und Irian Jaya. Die Kämpfe waren vorbei, die Putschisten waren besiegt, und fünf Provinzen hatten die Unabhängigkeit gewonnen. Und im gesamten

Weitere Kostenlose Bücher