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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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verstehst das binäre System?« Keith nahm sich ein Notepad, das auf dem kleinen Tisch vor ihnen lag und zeichnete beide Ziffern auf den Bildschirm.
    Prabir bemühte sich, nicht beleidigt zu klingen. »Ja, ich verstehe es.«
    »Hast du dich schon einmal gefragt, warum Computer Frauen gegenüber so feindselig eingestellt sind?«
    »Feindselig?« Prabir wusste nicht genau, wie Keith diese Behauptung gemeint haben könnte. Paranoide Wahnvorstellungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz ließen sich nicht von vornherein ausschließen. »Du meinst… warum manche Männer im Netz Frauen belästigen?«
    »Ja, das auch«, sagte Keith, »aber es geht viel tiefer. Amitas Arbeit bietet nicht nur eine grundlegende Erklärung für das Problem, sondern gleichzeitig eine verblüffend einfache Lösung.« Er klopfte mit dem Finger auf das Notepad. »Null und Eins. Abwesenheit und Anwesenheit. Und schau nur, wie die Ziffern aussehen! ›Null‹ ist weiblich, die Gebärmutter, die Vagina. ›Eins‹ ist männlich, ein offensichtlicher Phallus. Die Frau ist abwesend, marginalisiert, ausgeschlossen. Der Mann ist anwesend, präsent, dominant. Diese unverfroren sexistische Codierung liegt der gesamten modernen digitalen Technik zugrunde! Und dann wundern wir uns, dass Frauen sich in diesem Bereich nicht wohl fühlen!
    Also hat Amita ein neues Paradigma vorgeschlagen, sowohl für die Hardware als auch die Software. Die alte, männlich-dominierte Hardware soll durch den transgressiven Computer ersetzt werden, den Transputer. Die alte, männlich-dominierte Software wird in eine brandneue Sprache übersetzt, die Ada heißen soll – nach Ada Lovelace, der unbesungenen Mutter der Datenverarbeitung.«
    »Ich glaube«, warf Prabir vorsichtig ein, »dass schon einmal jemand eine Sprache nach ihr benannt hat.«
    Doch Keith ließ sich nicht beirren. »Worin besteht nun dieses neue Paradigma? Ganz einfach! Jede Eins wird zu einer Null und jede Null wird zu einer Eins: eine universelle digitale Neuzuordnung der Geschlechter! Und das Schöne daran ist, dass an der Oberfläche alles den gewohnten Anschein hat. Wenn sämtliche Hard- und Software der gleichen Umkehrung unterzogen werden, liefern die Programme exakt dieselben Resultate – für den ahnungslosen Betrachter ist nicht die geringste Veränderung feststellbar. Aber tief im Innern jedes einzelnen Mikrochips wird die alte phallozentrische Codierung untergraben, milliardenmal pro Sekunde! Die alten Machtstrukturen werden jedes Mal auf den Kopf gestellt, wenn wir unsere Computer einschalten!«
    Prabir hatte jetzt genug; Keith schien ihn für einen ungebildeten Hinterwäldler zu halten, dem er alles Mögliche erzählen konnte. Wenn er ihm diese Geschichten, die immer haarsträubender wurden, auftischte, nur um zu sehen, wie weit er damit kam, wurde es Zeit, ihn in seine Schranken zu weisen.
    »Computer arbeiten nicht mit winzig kleinen Ziffern«, sagte Prabir kategorisch. »Die Null ist in einem Speicher normalerweise als Fehlen einer elektrischen Ladung in einem Kondensator codiert und die Eins als Vorhandensein einer Ladung, aber manchmal ist es sogar andersherum. Und selbst wenn es nicht umgekehrt ist… Fehlen ist als Fehlen codiert und Vorhandensein als Vorhandensein. Es gibt keine Darstellungen von Vaginen und Penissen oder sonstigen Dingen, die mit menschlicher Sexualität zu tun haben.«
    »Nun«, erwiderte Keith unsicher, »vielleicht nicht im wörtlichen Sinn. Aber du kannst kaum abstreiten, das die Symbole als solche unsere technische Kultur durchdringen. Niemand lebt wirklich in einer sogenannten ›physikalischen‹ Welt aus Elektronen und Kondensatoren, Prabir! Der Raum, in dem wir wohnen, ist ein kultureller Raum!«
    Prabir stand auf und nahm sich verärgert das Notepad. »Das hier sind indisch-arabische Ziffern! Die Menschen haben sie seit Jahrhunderten benutzt, sie haben überhaupt nichts mit Computern zu tun. Wenn du wirklich glaubst, dass es zeichnerische Darstellungen von Geschlechtsteilen sind, solltest du nicht an der Technik Anstoß nehmen, sondern an der Mathematik!«
    »Ja, richtig!«, rief Keith. »Du hast völlig Recht! Geh nicht weg; ich bin in fünf Sekunden zurück!« Er rannte aus dem Wohnzimmer.
    Madhusree warf Prabir einen fragenden Blick zu. »Keine Sorge«, sagte er zu ihr, »es ist nur ein Spiel.« Das ich gewinne.
    Keith kehrte mit einem Buch in der Hand zurück, das er hektisch durchblätterte. »Da!«, sagte er, als er offenbar gefunden hatte, was er

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