Teranesia
Potenzial dieses Rezepts als Pestizid war bislang noch gar nicht zur Genüge erforscht worden.
Ein Gespräch erwies sich als schwierig; in den Schulen der RMS wurde immer noch Indonesisch unterrichtet, aber so weit Prabir beurteilen konnte, hatten sie beide ähnliche Schwierigkeiten mit dieser Sprache. Er deutete auf Subhis Gebetsteppich und fragte im Scherz, ob er der einzige fromme Mann an Bord des Schiffes war.
Subhi war entsetzt über diese Frage. »Die anderen Männer sind genauso gläubig. Sie sind Christen.«
»Ich verstehe. Entschuldigen Sie bitte. Ich habe nicht an diese Möglichkeit gedacht.«
Subhi räumte großzügig ein, dass es ein verständlicher Irrtum war, und erging sich in einem ausführlichen Bericht über die Tugenden seiner Besatzungskollegen. Prabir hörte zu und nickte, obwohl er nur die Hälfte verstand. Erst nach mehreren Minuten merkte er, dass es in der Geschichte noch um viel mehr ging. Subhis Dorf auf den Kai-Inseln war während des Krieges zerstört worden. Man hatte seine gesamte Familie getötet; er war der einzige Überlebende von mehr als zweihundert Menschen. Das christliche Dorf, mit dem sein eigenes eine pela- Allianz eingegangen war, hatte ihm Schutz gewährt und ihn aufgezogen. Und er lebte immer noch dort, obwohl er an den Freitagsgebeten in der Moschee eines anderen Dorfes teilnahm, wenn er nicht auf See war. Er war mit diesem Arrangement recht zufrieden, zumindest bis er heiratete, denn so konnte er den Glauben seiner Eltern bewahren, ohne seine Freunde verlassen zu müssen.
Als er fertig war, brachte Prabir kein Wort heraus. Wie konnte jemand so viel verlieren und am Ende mit so wenig Verbitterung dastehen? Die Religion hatte nichts damit zu tun; die pela- Idee stammte weder aus dem Islam noch dem Christentum, sondern war eine bewusste Strategie, um die unvermeidliche Vermischung beider Konfessionen zu entgiften. Doch dieselbe Kombination aus individueller Unverwüstlichkeit und einer gastfreundlichen Kultur hatte diesen Mann anscheinend unversehrt aus der Feuersbrunst seiner Kindheit gerettet.
Prabir verspürte plötzlich das Bedürfnis, etwas zu entgegnen, aus seiner eigenen Lebensgeschichte zu berichten. Er fragte Subhi, ob er eine Insel mit einem erloschenen Vulkan kannte, siebzig Kilometer südwestlich von hier.
Subhis Miene wurde abweisend. »Das ist kein guter Ort, dort gibt es Geister.« Dann betrachtete er Prabir noch einmal genauer. »Sind Sie der Sohn der indischen Wissenschaftler, die vor dem Krieg dort lebten?«
»Ja.« Prabir war erstaunt, dass er auf diese Weise identifiziert wurde, doch dann erinnerte er sich an die Arbeiter von den Kai-Inseln, die seinen Eltern geholfen hatten, den Kampung zu errichten. Wenn sich Teranesia seitdem einen übernatürlichen Ruf erworben hatte, war die jüngere Geschichte der Insel vielleicht allgemein bekannt.
»Was für Geister?«, fragte er. »Geister in Gestalt von Tieren?« Jede genauere Information über die modifizierte Fauna konnte ihnen helfen, sich besser vorzubereiten.
Subhi nickte unbehaglich. »Es gibt dort viele Arten von Geistern, die als Strafe für die Verbrechen des Krieges losgelassen wurden. Sichtbare und unsichtbare. Sie ergreifen Besitz von Tieren und von Menschen.«
»Menschen?« Prabir fragte sich, ob es vielleicht nur eine formelhafte Andeutung metaphysischer Möglichkeiten war. »Wer? Dort lebt doch niemand mehr, oder?«
»Nein.« Subhi blickte nervös zu Boden.
»Wem haben die Geister also etwas angetan? Ist dort ein Schiff gelandet?«
Er nickte.
»Wann?«
»Vor drei Monaten. Wegen Reparaturen.«
»Und die Männer an Bord wurden krank?«
»Krank? Ja, in gewisser Weise«, stimmte Subhi zögernd zu.
»Haben Sie etwas von der Insel gegessen? Haben sie Tiere gefangen? Was für eine Krankheit hatten sie?«
Subhi schüttelte unbehaglich den Kopf. »Es ist unehrenhaft, darüber zu sprechen.«
Prabir wollte ihn nicht beleidigen, aber wenn es Hinweise gab, dass auch menschliche DNS betroffen werden konnte, gab es kaum etwas Wichtigeres, als der Sache nachzugehen. »Könnte ich diese Männer sehen? Wenn wir Ihr Dorf besuchen?«
»Das ist unmöglich.« Subhi stand unvermittelt auf und klopfte sich den Sand von der Kleidung. »Es wird Zeit, dass ich zu meinen Freunden zurückkehre.« Er schüttelte Prabir die Hand, dann ging er über den Strand davon.
Prabir rief ihm nach: »Die Männer, die die Insel besucht haben – leben sie noch oder sind sie tot?«
Es folgte ein langes Schweigen, bis
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