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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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den Kai-Inseln nach zuverlässigen Zeugen für ein Ereignis umzusehen, über das niemand reden wollte.
    »Erzählen Sie mir, woran Ihre Eltern gearbeitet haben«, forderte Grant ihn auf.
    Prabir skizzierte die Abfolge der Ereignisse, die Radha und Rajendra zur Insel geführt hatten. Es war schon sehr lange her, seit er mit jemand anderem als Madhusree über dieses Thema gesprochen hatte, und als er sich selbst hörte, wie er sie hinterging – wie er die Familiengeschichte einer Fremden anvertraute, um Madhusree daran zu hindern, es selbst zu tun –, fühlte er sich viel schlechter, als er erwartet hatte. Aber Grant hatte ihren Teil der Abmachung eingehalten, und für ihn gab es keinen Grund zu der Annahme, dass seine Eltern gewollt hätten, irgendetwas von alldem geheim zu halten.
    »Können Sie die Schmetterlinge beschreiben?«
    »Sie waren grün und schwarz gefärbt. Smaragdgrün. Sie hatten ein Muster, eine Art konzentrischer Streifen, keine richtigen Augenflecken, aber etwas in der Art. Sie waren ziemlich groß; jeder Flügel hatte etwa die Größe der Hand eines Erwachsenen. Und da war noch etwas mit den Adern in den Flügeln und der Lage der Genitalien, worum meine Eltern einen großen Wirbel gemacht haben. Aber ich kann mich nicht mehr an Details erinnern.«
    »Könnten Sie die anderen Stadien wiedererkennen? Die Eier, die Larven, die Puppen?«
    Prabir versuchte sich die entsprechenden Bilder ins Gedächtnis zu rufen. Er war in der Schmetterlingshütte gewesen, ein einziges Mal – bei Nacht, in der Dunkelheit. Doch in seiner Erinnerung konnte er den Inhalt sämtlicher Käfige sehen. Stachelige, zischende Raupen. Orangegrüne Puppen, die wie verfaultes Obst aussahen.
    »Ich bin mir nicht sicher.« Die Worte klangen in seinen Ohren wie ein wütendes Dementi.
    Grant drehte sich verblüfft über seinen Tonfall zu ihm um. »Ich habe nur danach gefragt, weil sie sich möglicherweise leichter einsammeln lassen als die erwachsenen Tiere. Aber wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern, ist das keineswegs das Ende der Welt.«
    *
    Kurz nach Mittag erreichten sie das Schiff. Prabir packte die Proben aus, die er vor dem Marsch durch den Sumpf gesammelt hatte. Der Python hatte die Hälfte seiner Röhrchen mit geronnenem Blut zerquetscht, aber die Arbeit jenes Vormittags war trotzdem nicht völlig umsonst gewesen.
    Grant hatte keine Schwierigkeiten, nach seiner Beschreibung die Insel auf der Karte zu lokalisieren, aber sie bat Prabir dennoch um eine Bestätigung. Er strich mit dem Finger über die vagen Umrisslinien auf dem Bildschirm, das Radarecho irgendeines Satelliten, das blind durch eine Milliarde Rechenvorgänge gejagt worden war, um eine Gestalt hervorzubringen, für deren Kartographierung ein menschlicher Entdecker einen Monat schwerer Arbeit benötigt hätte.
    »Das ist sie«, sagte er. »Das ist Teranesia.«
    Grant lächelte. »Haben Sie die Insel wirklich so genannt?«
    »Ja. Nun, das war der Name, den ich mir ausgedacht hatte, und meine Eltern haben ihn übernommen. Aber mit den Schmetterlingen konnte ich nicht das Geringste anfangen; etwa nach einer Woche fand ich sie furchtbar langweilig. Ich habe den realen Tieren nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt; ich war es gewöhnt, mir eigene zu erfinden. Kinderfressende Ungeheuer, die uns rund um die Insel jagten, uns aber niemals erwischten.«
    »Ach, das hat doch jeder von uns gemacht.«
    »Wirklich? In Kalkutta hatte ich keine Ungeheuer. Da war zu wenig Platz.«
    »Ich habe ein beträchtliches Bestiarium im Treppenhaus eines zwölfstöckigen Apartmenthauses untergebracht«, sagte Grant. »Nicht dass ich außer Konkurrenz gewesen wäre: Einer meiner schwachsinnigen Brüder versuchte, dem gesamten Gebäude eine Art zugrunde liegende metaphysische Struktur anzudichten – voller ätherischer Wesen auf unterschiedlichen spirituellen Niveaus, ähnlich wie die merkwürdigen Kosmologien von Doris Lessing oder C. S. Lewis –, doch selbst als seine Freunde ebenfalls daran glaubten, wusste ich, dass es völliger Blödsinn war. All seine kleinen Dämonen und Engel fochten endlose Kriege und politische Intrigen aus, während sie anscheinend keine Zeit zur Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung hatten.«
    »Sie haben es nicht geschafft, eine ebenso große Anzahl von Gläubigen um sich zu scharen, obwohl sie eine Welt voller brünftiger Fleischfresser anzubieten hatten?«
    Sie schüttelte schwach den Kopf. »Ich hatte sogar hermaphroditische Mistkäfer anzubieten, aber niemand

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