Terra Madre
Gemeinschaft der Honigerzeuger vom Vulkan Wenchi hörte, die sie 2008 bei der Terra Madre Äthiopien in Addis Abeba vortrug, einer der vielen Initiativen, die nach dem Turiner Treffen auf nationaler Ebene entstandenen waren. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte diese Frau ihr Dorf verlassen, war gereist und trug nun die in Turin niedergeschriebenen Eindrücke vor. In ihren Versen dankte sie immer wieder den Leuten, die ihr den Besuch einer anderen Nation, den Blick auf eine andere Welt und eine andere Landwirtschaft ermöglicht hatten. Die Entdeckung einer so breit gestreuten Vielfalt faszinierte sie und machte ihr gleichzeitig Angst. Besonders schöne Zeilen widmete sie der piemontesischen Bauernfamilie, die sie aufgenommen hatte. Eine alte Frau, die sich ein Leben lang innerhalb des eigenen Dorfes um die Lebensmittelproduktion gekümmert und ihre Familie versorgt hatte, ist zum ersten Mal fortgegangen und hat ihre Erlebnisse und Gefühle rückhaltlos zu Papier gebracht. Ihre ein wenig unbeholfenen Verse vermittelten auf sehr direkte Art die ganze Intensität des Erlebten und ihr Staunen darüber. Sie erzählte wie ein Kind, das seine ersten überraschenden Entdeckungen macht. Alle, die ihr zuhörten, waren ergriffen.
Ein weiteres Beispiel, welche Wirkung eine Reise auf diese Menschen haben kann, schildert meisterhaft der Film Seu Bené vai pra Italia (»Herr Bené reist nach Italien«) von Manuel Carvalho. Es ist die Geschichte des 60-jährigen Bauern Benedito Batista da Silva – eine Autorität bei der Maniokmehlherstellung im Staat Pará in Amazonien. Der Film erzählt die Reise von seinem Haus in Bragança nach Turin und zurück: seine Begegnung mit anderen Kulturen und Kleinbauern aus aller Welt, die Magie seiner Berührung mit der europäischen Kultur und die tiefe Bindung, die zwischen Herrn Bené und seiner Gastfamilie entstanden ist. Die kulturellen, wirtschaftlichen und sogar physischen Schranken fallen: Entdeckung und Dialog, auch ohne die Sprachen der anderen zu kennen, die Möglichkeit, bei der Rückkehr ins heimische Dorf allen zu erzählen, was er gesehen, wie er sich gefühlt hat. Es sind zarte Bilder, die aber auf kraftvolle Weise vermitteln, dass das Leben des Seu Bené sich verändert hat – zwar nur ein bisschen, dafür aber auf Dauer –, ebenso wie das Leben aller ihm Nahestehenden. Ein neuer Stolz liegt nun in allem, was er tut, er wird getragen vom Bewusstsein, Teil einer Welt zu sein, die mit ihm zusammenarbeitet – wenn auch weit von ihm entfernt –, und neue Freunde gewonnen zu haben.
Die Erfahrung der Reise und die Erfahrung der Begegnung gehören zusammen. Beide bestärken auf schöne Weise die eigene Existenz. Man erzählt sein Leben und versteht die anderen. Man bemerkt die Unterschiede und lernt daraus oder findet Analogien und fühlt sich verbunden. Dieser Aspekt war bei jedem Treffen der anrührendste und fruchtbarste. Aus der Begegnung erwuchsen die schönsten Initiativen, dauerhafte Kontakte, neue Verbindungen zwischen den Erzeugern. Durch die Begegnung wurde jede Identität mit neuem Stolz erfüllt, die Menschen fühlten sich als wichtiges Mosaiksteinchen in der Welt von Terra Madre. Man fühlte sich nicht länger isoliert, man war nicht mehr allein. Genau dieses Gefühl beschreibt Markus Friedrich Schumacher von der Gemeinschaft der biodynamischen Erzeuger in Tula, Russland, im 2009 erschienenen Film Terra Madre von Ermanno Olmi: »Ich ging zu diesem Treffen als Einzelkämpfer. Als ich nach Hause zurückkehrte, fühlte ich mich nicht mehr als Einzelkämpfer, sondern als Teil einer großen Bewegung. Meine Ziele änderten sich nur wenig. Der einzige Unterschied – ein großer Unterschied – ist, dass ich mich bei der Verfolgung meiner Ziele nicht mehr allein fühle. Ich stehe jeden Tag auf und gehe arbeiten; das liebe ich sehr. Diese Liebe überträgt sich auf alles, was ich tue. Genau in dieser Liebe liegt der Hauptunterschied zwischen unserer und der allgemeinen Produktion. Das kann man im Produkt, das am Ende auf den Tisch kommt, sehen, riechen und schmecken.«
Wie bei jeder Begegnung sprang der Funke der Neugier über. Die Bauern, die Fischer und alle anderen Berufsgruppen begannen sofort, sich gegenseitig auszufragen: nach der Art und Weise, wie sie arbeiten, wie sie Probleme technisch lösen, wie sie einen besseren Verkaufspreis erzielen, wie sie bewässern, weiterverarbeiten, züchten. Die Menge der ausgetauschten Informationen, darunter auch ganz simple und
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