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Terra Madre

Terra Madre

Titel: Terra Madre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Petrini
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auf die Welt wider, sie besitzt die Wörter, mit denen Traditionen und Arbeitsweisen, Werkzeuge und Naturphänomene beschrieben werden können. Die Sprache ist ebenso Teil der kulturellen Identität der Gemeinschaften, wie es die Lebensmittel sind, die Art zu produzieren und zu verkaufen, die Art zu feiern, zu erzählen und eine kollektive Erinnerung zu bewahren.
    Das Ganze, also das gesamte lokale System – und nicht nur ein Teil davon –, muss geschützt, bewahrt, am Leben erhalten werden. Und dieses Ganze kreist natürlich um eine einzige große Sonne: unsere Nahrung.
    Terra Madre: Poesie und Politik
    Zur Geschichte von Terra Madre gehören auch die unterschiedlichen Reaktionen, die die neue Bewegung bei Außenstehenden ausgelöst hat, ebenso wie die Probleme, mit denen ihre Wegbereiter konfrontiert waren, als das Projekt immer größere Dimensionen annahm. Die Entscheidung, die Treffen jeweils gleichzeitig mit dem Salone del Gusto abzuhalten, beeinflusste die Wahrnehmung des Publikums und der Medien. Nicht immer verliefen die Dinge nach unseren Vorstellungen.
    Das erste Treffen 2004 fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; Zugang hatten nur die Delegierten. 5.000 Personen zusammenzubringen, die gemeinsam arbeiten und echte Begegnungen erleben sollen, ist anspruchsvoll genug, da kann man nicht auch noch das allgemeine Publikum einladen. Es sollte schließlich keine Folkloreveranstaltung daraus werden. Im Jahr 2006 aber wollten wir die Veranstaltung so weit als möglich für interessierte Beobachter öffnen. Wir verlegten sie in das sogenannte Oval, ein Gebäude, das für die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin errichtet worden war und das an das Messezentrum Lingotto angrenzt, wo der Salone del Gusto stattfindet. 2004 waren nämlich trotz unserer gegenteiligen Absicht das Terra-Madre-Treffen und der Salone del Gusto als zwei verschiedene, voneinander unabhängige Events wahrgenommen worden: auf der einen Seite die Armen der Erde, die Bauern in ihren pittoresken Trachten, die dem Publikum des Salone zufällig über den Weg liefen oder über die man in Zeitungen schrieb, auf der anderen Seite das Schlaraffenland des Salone, dessen Besucher sich die dort angebotene reiche Auswahl hochwertiger und exklusiver Lebensmittel leisten konnten. Dieser Eindruck war natürlich genau das Gegenteil von dem, was wir wollten, und entsprach eigentlich auch nicht dem tatsächlichen Geschehen. Aber wir stießen doch auf schwer zu beseitigende Vorurteile. Lebensmittel, Gastronomie und Genuss mit Landwirtschaft, Kultur und Engagement zu verbinden war für viele nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Breite Bevölkerungsschichten sahen keinerlei Beziehung zwischen den beiden Welten, ja, dachten nicht einmal über mögliche Zusammenhänge nach.
    Wenn man die Menschen eines Terra-Madre-Treffens zum ersten Mal sieht, mag dieses Sammelbecken unterschiedlichster Persönlichkeiten ein wenig befremdlich wirken. Viele Teilnehmer präsentierten sich von Anfang an stolz in ihren traditionellen Trachten und fielen natürlich sowohl in der Plenarversammlung als auch beim Gang über das Messegelände auf. Statt zu begreifen, dass dies einfach nur Menschen waren, die auf dem Land leben, den Boden unserer Erde bewohnen und bearbeiten, reduzierte mancher Besucher das Ganze auf das Äußerliche und glaubte wohl, einer spektakulären Drittweltparade beizuwohnen (zum Beispiel fand die bunte Kleidung der ärmeren Völker viel mehr Beachtung als die weniger auffällige der Bauern aus den USA oder Europa). Die Reaktionen reichten von nostalgisch bis mitleidig.
    Nein, das ist nicht Terra Madre.
    Eine so riesige Vielfalt an einem einzigen Ort wirkt ästhetisch stimulierend. Teils neugierige, teils belustigte Blicke folgten den Bauern, wenn sie durch die Ausstellungspavillons spazierten. Diese Menschen wirkten aber auch anrührend, und ich bin sicher, dass jeder Anwesende etwas mit nach Hause nahm, vielleicht neuen Elan oder eine ungewöhnliche Idee. Terra Madre besitzt eine eigene Poesie: So viel ergreifende Würde in all ihrer Verschiedenheit und Schönheit an einer Stelle versammelt zu sehen, löst starke Emotionen aus, und wer sich diese Menschen bei der Arbeit in ihrer Heimat vorstellt, bekommt leicht poetische Gedanken. Terra Madre hat aber nicht nur eine eigene Poesie, sondern auch eine eigene Politik.
    Terra Madre verkörpert einen Traum: dass die Anspruchslosen, die am Rand der Gesellschaft leben und oft als »fünftes Rad am

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