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Terra Madre

Terra Madre

Titel: Terra Madre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Petrini
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einander auch Geschwister.
    Von den drei Grundwerten der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – scheinen nur die beiden erstgenannten überlebt zu haben, auch wenn sie oft falsch verwendet werden. Aber die Brüderlichkeit, die Brüderschaft, scheint gänzlich aus der Werteordnung der westlichen Gesellschaften verschwunden zu sein. Für die Gemeinschaften der Terra Madre gilt das meiner Meinung nach nicht. Terra Madre lehnt die Regeln des Konsumismus, der Verschwendung, des technologischen Wahnsinns, der industriellen Standardisierung ab – weil Terra Madre anders ist.
    Die emotionale Intelligenz ist der Zement, der Terra Madre fest zusammenhält. Keine äußere Kraft kann diesen Zement beschädigen. In unserer heutigen Zeit, die von rationaler Intelligenz geprägt ist, gibt es endlich eine emotionale Einheit, ein brüderliches Netzwerk. Diesen Geist atmen die Terra-Madre-Treffen, die Plenarversammlungen und die »Werkstätten der Erde« (die täglichen themenbezogenen Workshops auf den Treffen). Er ist auch in den Berichten, die uns von weither erreichen, und während der verschiedenen regionalen Terra-Madre-Veranstaltungen spürbar. Dieser Geist entstand beinahe spontan, aus einem von unten kommenden Bedürfnis heraus.
    Bisher gab es nationale Terra-Madre-Treffen in Äthiopien, Tansania, Schweden, Irland, Weißrussland, Brasilien, den Niederlanden, Argentinien und Kenia. Das Netzwerk lebt und verschafft sich auf lokaler und nationaler Ebene Gehör. Es bezieht Politiker mit ein und fordert sie auf, die örtliche Lebensmittelproduktion und die lokalen Ökonomien der Gemeinschaften zu unterstützen. Es ist diese Brüderlichkeit, dieser Zement, der es Terra Madre erlaubt, sich keine allzu feste Struktur zu geben und frei zu sein, und der es den Gemeinschaften erlaubt, für die eigene Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ohne äußere Einmischung zu arbeiten, trotz großer Mühen Freude zu empfinden und nach der eigenen Zukunft zu suchen, »ohne Macht, mit ein wenig Wissen, ein wenig Weisheit und so viel Würze wie möglich« [3] . Wer kann der Erde mehr Würze geben als die Lebensmittelbündnisse?
    Die Kraft der Vielfalt
    Niemand maßt sich bei den Treffen der Lebensmittelbündnisse an, ihnen Vorschriften zu machen, niemand nötigt sie zu etwas. Das Prinzip lautet: »Ihr werdet die Protagonisten der dritten industriellen Revolution sein, die Hauptakteure eines New Deal, der die Welt verändern wird. Er wird uns aus den Krisen retten, die wir gerade durchleben.«
    Den Lebensmittelbündnissen ist bewusst, dass sie die Welt nicht neu erfinden müssen. Sie müssen nur in dem fortfahren, was sie bereits tagtäglich in ihrem Umfeld tun. Da ihre Arbeit sich seit Jahrhunderten nach den örtlichen Gegebenheiten richtet, kann sie von niemandem besser ausgeführt werden als von ihnen selbst. Sie produzieren in guter Qualität, gehen mit der Erde sorgsam um und erzielen Erträge, ohne den Boden auszubeuten. Wiederverwertung und Recycling sind für sie selbstverständlich: Sie nutzen den Ausschuss für neue Produktionsprozesse oder um den Genussfaktor der Lebensmittel zu erhöhen. Seit jeher arbeiten sie systemisch, schon lange vor der Erfindung des systemischen Designs. Das ist ihre produktive Revolution.
    Außenstehende können von den Lebensmittelbündnissen nur lernen, indem sie ihr Modell als eine Möglichkeit zur Veränderung sehen. Dieses Modell, das für einen anderen Lebensstil, eine andere Art der Existenz und des Handelns steht, kann auf unsere eigenen – auch städtischen, auch völlig verschiedenen – Wirklichkeiten angewendet werden. Es geht hier um neue Denkweisen und Methoden, Probleme anzugehen.
    Solange man nicht begreift, dass diese Menschen andere intellektuelle und kulturelle Ziele verfolgen und einen anderen Umgang mit dem Leben pflegen, begeht man leicht den typischen Fehler eines Kolonialisten: Man raubt ihnen die guten Ideen und Ressourcen und drängt sie gleichzeitig zu Veränderungen. Dieses Verhalten ist sowohl den Organisatoren von Terra Madre als auch all jenen Menschen, die das Netzwerk unterstützen, fremd.
    Es wäre viel zu einfach, Terra Madre den Hut von Slow Food überzustülpen und zu behaupten, Terra Madre sei das Netzwerk von Slow Food. Slow Food war im Gegenteil nur das Enzym, das den Fermentierungsprozess in Gang gebracht hat, ist also seinerseits Teil des Netzwerks von Terra Mare – und nicht umgekehrt. Slow Food gehört mit seinen Mitgliedern, seinen

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