Terra Madre
aufgegeben werden dürfen. Und sie spielen auch eine bedeutende Rolle bei der Bewahrung der Vielfalt – sowohl der biologischen als auch der kulturellen – und dem Erhalt bestimmter Produktionsweisen, indem sie den Menschen nachhaltige Alternativen zum herrschenden Lebensmittelsystem aufzeigen. Diese Leute vertreten sicherlich am typischsten die Idee der Lebensmittelbündnisse und der Gemeinschaft insgesamt, doch auch sie sind nur ein Teil des Netzwerks und bilden nicht einmal die Mehrheit.
Voraussetzung für ein Lebensmittelbündnis ist der Wille, die Nahrung in den Mittelpunkt zu stellen. Das tun die Bauern, aber auch die verschiedenen Einkaufsgruppen. In Frankreich heißen sie AMAP (Associations pour le Maintien d’une Agriculture Paysanne) , in den Vereinigten Staaten Community Supported Agriculture , in Italien GAS (Gruppi di acquisto solidale) . Diese Gruppen schließen eine Übereinkunft mit den Bauern und sichern sie mithilfe verschiedener Zahlungsmodalitäten ab (z. B. durch einen Vorschuss auf die gesamte Produktion oder eine Art »Abonnement«, bei dem wöchentlich eine Kiste Lebensmittel abgenommen wird, oder auch durch den Ankauf von Produkten, die an den Wochenenden selbst geerntet werden). Damit umgehen die Bauern den Markt, und die Übereinkunft garantiert ihnen ein angemessenes Entgelt.
Die Verbraucher, die auf diese Weise zu Koproduzenten werden, erhalten gesundes Obst, Gemüse, Fleisch, Eier, Käse und sogar Blumen der Saison. Die Waren sind frisch geerntet, wohlschmeckend und kontrolliert. Man weiß genau, wer sie hergestellt, angebaut oder gezüchtet hat. Wenn das kein Lebensmittelbündnis ist, was dann? Land- und Stadtbewohner lernen sich kennen, schließen Freundschaft, erziehen ihre Kinder, respektieren Ökologie, Wirtschaft, Kultur und gesunde menschliche Beziehungen.
Es war bereits die Rede von Bündnissen, bei denen der Anbau von Obst und Gemüse auch erzieherischen Zwecken dient – auf dem Land, in den Schulen, in der Stadt, in den Vorstädten. Als Michelle Obama sofort nach der Amtsübernahme ihres Mannes im Weißen Haus einen Garten anlegte, war dies ein bedeutender politischer Akt. Jeder Garten hat einen hohen symbolischen Wert – selbst ein kleiner Dach- oder Terrassengarten. Er bietet die Gelegenheit, wieder einen eigenen Zugriff auf die Nahrung zu bekommen, auf ihren Anbau und damit auf den Rhythmus der Natur. Man kümmert sich um den Boden, damit die Nahrung gedeiht, und lernt dabei den Rhythmus und die Schwierigkeiten der Lebensmittelproduktion verstehen. In manchen Bündnissen von städtischer Landwirtschaft oder in bestimmten, auf Erziehung ausgerichteten Gemeinschaften opfern Rentner ihre Zeit, um Schulkindern die Grundlagen des Gartenbaus beizubringen. Solche Bündnisse gibt es in Australien ebenso wie in den armen Stadtvierteln von San Francisco, fast überall in Italien und auch in einigen Hauptstädten Afrikas.
Mit den angeführten Beispielen möchte ich der falschen Annahme entgegentreten, dass Lebensmittelbündnisse nur in ländlichen Gebieten existieren oder realisiert werden können. Wir plädieren hier nicht für eine kollektive Flucht aus der Stadt, sondern für eine neue Haltung Nahrungsmitteln gegenüber, einen neuen Ansatz zum praktischen Handeln und eine neue Beziehung zwischen Stadt und Land. Wir können die Verantwortung für die Rettung der Welt nicht allein den Bauern überlassen. Die Allianz zwischen städtischen und ländlichen Gebieten charakterisiert seit jeher die Geschichte unserer Ernährung. Das Verhältnis war stets eng, systemisch und gut verortet. Es ist absurd, dass gerade jetzt, im Zeitalter überfüllter Metropolen, diese Allianz zum Erliegen kommen soll. Wir brauchen sowohl neue Verteilungs- und Anbaumethoden als auch eine Neuverortung der landwirtschaftlichen produktiven Tätigkeiten und nachhaltige Verfahren. Stadt- wie Landbewohner sollten aus dieser harmonischen Zusammenarbeit, die zu einer Art Symbiose werden muss, Vorteile ziehen.
Mittel und Wege, dies alles zu verwirklichen, gibt es bereits und werden ständig neu erfunden. So hat Slow Food zum Beispiel zusammen mit der Università degli Studi di Scienze Gastronomiche (Universität der gastronomischen Wissenschaften) und dem Mailänder Polytechnikum ein gut strukturiertes Projekt ausgearbeitet. In Vorausschau auf das Jahr 2015 – wenn Mailand Bühne der Weltausstellung Expo sein wird – möchte es die Beziehung zwischen der Stadt und der sie umgebenden Landwirtschaft völlig
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