Terra Madre
ist geschehen, weil wir die Wirtschaft als geschlossenes System betrachtet haben, das sich aus sich selbst heraus speist und die Natur um uns herum – unser Haus – ausschließt. Es ist, als wollte man ein Haus ohne Mauern, Möbel und Fenster bewohnen: Man wohnt praktisch ohne das Haus selbst. Wie konnten wir uns nur jahrhundertelang von einem so groben Irrtum leiten lassen? Wir müssen die Wirtschaft neu überdenken, ihre Leitlinien ändern und unser Haus, die Erde, in den Mittelpunkt stellen.
Die Theorien von Nicholas Georgescu-Roegen verdeutlichen, warum sich das gegenwärtige Wirtschaftssystem nicht um unser Haus kümmert. Sein Gesetz der Entropie beleuchtet die Funktionsweise der Wirtschaft und zeigt, wie sehr die ökonomischen Systeme die Natur vernachlässigen und am Ende zerstören. Georgescu-Roegen wirft die Frage auf, wie der Mensch angesichts der Tatsache, dass er weder Materie noch Energie zu produzieren vermag, etwas Materielles hervorbringen kann. Betrachtet man die Wirtschaft in ihrer Ganzheit als rein physischen Prozess, fällt auf, dass dieser Prozess nur in einem gewissen Teilbereich stattfindet, der von einer Grenze umgeben ist, über die hinweg Materie und Energie sich mit dem Rest des materiellen Universums austauschen. Es handelt sich also um einen Vorgang, der Materie und Energie weder produziert noch verbraucht. Er beschränkt sich darauf, sie kontinuierlich aufzunehmen oder abzugeben.
Wirtschaft ist jedoch nicht reine Physik. Von der herrschen-den Meinung abweichende Wirtschaftswissenschaftler sehen sie als einen Prozess, der auf der einen Seite natürliche Ressourcen aufnimmt und auf der anderen Seite Abfall ausstößt. Betrachtet man diesen Vorgang unter energetischen Gesichtspunkten und in Bezug auf die Gesetze der Thermodynamik, tritt die Energie-Materie nach Georgescu-Roegen mit niedriger Entropie in diesen Wirtschaftsprozess ein und mit hoher Entropie wieder aus.
Der Begriff Entropie lässt sich nicht so leicht erklären, aber man kann vereinfachend sagen: Entropie ist Energie, die »gebunden« ist, das heißt nach dem Vorgang nicht mehr verwendet werden kann. Zu Beginn des ökonomischen Prozesses steht uns folglich viel freie Energie zur Verfügung, die wir nutzen können, während wir am Ende »gebundene« Energie hervorbringen, die nicht mehr zu verwenden ist.
Man möchte fast sagen, dass demnach jeder wirtschaftliche, aber auch jeder biologische Vorgang (der Mensch altert und wird zunehmend gebrechlicher) zu einem Defizit führen muss, also immer mit Verlust verbunden ist. Dies verhält sich tatsächlich so und nimmt uns bei all unseren Aktivitäten und Unternehmungen den Mut. Wir müssen daher anfangen zu begreifen, dass »das wahre Produkt des ökonomischen Prozesses ein immaterieller Fluss ist: die Lebensfreude« [1] . Dieser Standpunktwechsel verändert die Perspektive, und zwar gewaltig.
Die Theorie von Georgescu-Roegen ist noch erheblich komplexer, ich habe sie hier lediglich kurz angerissen, um zu zeigen, wie falsch unsere Überlegungen in Bezug auf wirtschaftliche Prozesse sind. Wir müssen in erster Linie versuchen, die Entropie, also die Produktion von Ausschuss oder nicht mehr verwendbarer Energie, zu verringern oder zumindest erreichen, dass diese »Verteilung« möglichst zu unserem Vorteil und jenem der Erde erfolgt und sich in nützliche Energie für das Funktionieren und die Regeneration der natürlichen Prozesse wandelt.
Dazu benötigen wir stärker dezentralisierte und besser organisierbare Systeme, die eine Ganzheitlichkeit zwischen produktiven Abläufen und natürlichen Ressourcen, zwischen Bewahrung und Nutzung, zwischen sozialen und kulturellen Elementen herstellt. So finden wir zurück zu wahrer Lebensqualität. Dank dieser Betrachtungsweise können die »verborgenen Verbindungen« aktiv werden und zum Wohl der Allgemeinheit wie auch des einzelnen Individuums zusammenwirken, auf der Suche nach einem Gleichgewicht, das gerecht ist und das System am Leben erhält.
Jedes Lebensmittelbündnis muss bei der Pflege des eigenen (ländlichen wie städtischen) Lebensraums Verantwortung übernehmen. Diese Verantwortung fängt zwangsläufig bei der Ernährung an, da sie uns mehr als alles andere unmittelbar mit dem »Haus« verbindet.
Das hat nichts damit zu tun, sich von der übrigen Welt abzusondern oder autark zu werden, sondern zu Bewusstheit, Verantwortung und Teilnahme. In einer globalisierten Welt eröffnen sich unzählige Möglichkeiten, ausgehend von
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