Terra Mater
legte eine Hand auf den Arm des Kardinals, der das unangenehme Gefühl hatte, von einem Abgesandten des Todes berührt zu werden.
»Wir wollen doch hoffen, dass Euch der Graben, der zwischen der Hierarchie und der Basis existiert, bewusst ist«,
sagte er mit fl ammendem Blick. »Ebenso müsste Euch klar sein, dass Gesetze, die für die Herde gelten, für den Schäfer inexistent sind. Ihr quält Euch mit unlösbaren Gewissensfragen, mit Widersprüchen – das ist das Schicksal aller Regierenden. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Kirche in ein unersättliches Monster verwandelt, dessen Kontrolle immer schwieriger wird. Aus diesem Grund aber wächst sie ständig: Sie braucht immer mehr Nahrung, also werfen Wir ihr immer mehr Seelen zum Fraß vor. Millionen Seelen, die der Prälaten, Vikare und Missionare und Milliarden Seelen von Gläubigen … Wir haben ein wildes Tier in die Welt gesetzt, das, um zu überleben, seine eigenen Glieder verzehrt. Und jeden Tag, den Gott in seiner Güte uns schenkt, stillen wir den unersättlichen Hunger der Kirche des Kreuzes mit neuen Seelen. Am Anfang war das Wort eine einfache Botschaft, eine Hymne an die Freiheit des Menschen. Doch die Kirche ist ein komplexes Gebilde, eine blindwütige, Menschen verzehrende Maschine. Das sind wir geworden, Kardinal Bogh: Roboter, Klone …«
Der Muffi versenkte sich in die Betrachtung der Zweiten Abenddämmerung. Schimmernde Blautöne wurden immer dunkler, bis sie die Farbe satten Indigos angenommen hatten. Die goldene Sichel des ersten der vier Nachtgestirne leuchtete am Himmel auf.
»Wenn Ihr gestattet, Eure Heiligkeit, möchte ich Euch zwei, oder vielmehr drei Fragen stellen«, sagte Fracist Bogh.
Der Muffi nickte.
»Warum habt Ihr Euch nicht früher diesbezüglich geäußert? Warum sprecht Ihr mit mir darüber? Und schließlich, in welchem Zusammenhang steht Eure Rede mit Dame Sibrit?«
»Ein in der autopsychischen Selbstverteidigung erfahrener Syracuser hätte mir entgegnet: ›Eure Heiligkeit, Eure Analyse
der aktuellen Situation ist bemerkenswert und deckt sich mit meinen Überlegungen …‹ Eine absolut nichtssagende Replik, die aber Intelligenz suggerieren soll … Zuerst zu Dame Sibrit: Sie allein war in der Lage, teilweise das Geheimnis der Scaythen von Hyponeros zu enträtseln – Wir sprechen hier über den Konnetabel Pamynx und seinen Nachfolger Seneschall Harkot. Die Kaiserin war so klug, mit Uns darüber zu reden. Sie besitzt die Gabe, die manche als dämonisch bezeichnen, Wir ziehen es jedoch vor, sie hellseherisch zu nennen. Ihre Träume enthüllen die Zukunft. Bis zu jenem Zeitpunkt hatten wir den Scaythen absolutes Vertrauen geschenkt, denn Wir waren überzeugt, dass sie im Interesse der Menschheit handelten. Doch Dame Sibrit hat Uns die Augen geöffnet, und Wir erfuhren, dass sie dasselbe bei ihrem Gemahl versucht hat, er sie jedoch nicht anhören wollte … Durch ihr Handeln ist sie so zu einem Symbol der menschlichen Freiheit geworden, und es ist dieses Symbol, das der Seneschall Harkot und seine Gefolgsleute zu zerstören trachten … Es ist ihnen völlig egal, ob sie Blut an den Händen hat oder nicht!«
»Und welches sind – glaubt man den Träumen Dame Sibrits – die wahren Absichten des Seneschalls?«
»Ah, Kardinal Bogh, es ist ein wahres Vergnügen, mit Euch zu diskutieren …«, sagte der Muffi und musste heftig husten – oder lachen? – so heftig, dass der Generalsekretär fürchtete, der Greis würde zusammenbrechen.
»Die genauen Absichten Harkots sind Uns unbekannt«, fuhr der Pontifex fort. »Wir vermuten nur, dass er der oberste Vertreter der Scaythen ist, deren Ziel in dem Auslöschen der Menschheit besteht. Solltet Ihr die Kraft dazu haben, wird es Eure Aufgabe sein, das ganze Geheimnis zu lüften …«
»Wir … warum ich, Eure Heiligkeit?«, stammelte der Kardinal.
»Wo bleibt Eure mentale Kontrolle, Generalsekretär! Ihr seid ein erbärmlicher Schauspieler! Die Rolle des Unschuldigen steht Euch nicht, damit betont Ihr noch Eure Schuld … Und während sich die Kandidaten als Nachfolger für Unser Amt untereinander zerfleischen, hat das Vikariat klammheimlich bereits seinen Bauer in die günstigste Position auf dem Schachbrett der Macht positioniert: Euch, einen jungen und bescheidenen Mann!«
Schon wollte der Kardinal empört protestieren und öffnete den Mund, doch der Pontifex brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Verstummen.
»Lasst Uns ausreden, Kardinal Bogh!
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