Terra Science Fiction
übliche Ventilation, aber die Stadtverwaltung sorgte dafür, daß jeder Einwohner, ob Säugling oder Greis, sein eigenes Zimmer besaß, einen Raum, den er nach seinem Geschmack gestalten konnte, der für andere tabu war. Selbstverwirklichung nannten die einen das Programm, Abkapselung die anderen.
In Harryos Zimmer sah es aus wie auf einem Schlachtfeld, aber das störte den Jungen wenig. Der Angelpunkt seines Lebens, um den sich alles drehte, war seit drei Wochen sein Schaukelpferd. Es stand mitten im Zimmer, trotzte der Unordnung, stand fest wie ein ehernes Denkmal. Nur wenn der Junge sich auf seinen Rücken setzte, ihm symbolisch die Sporen gab, erwachte es aus seiner Starre. Es setzte sich in Bewegung und schaukelte.
Harryo bewegte sich auf seinem Pferd wie ein Akrobat. Vorwärts, rückwärts, nach links und rechts lenkte er das Tier in seinem Geschirr aus roten Lackbändern. Halbe Überschläge brachte er fertig, doch in den Beinen des Pferdes knirschte es kein einziges Mal.
»Ho, Mähnchen!« flüsterte Klein Harryo inbrünstig und warf sich wild vor und zurück, um dem Schaukelpferd noch größere Geschwindigkeit zu verleihen. Dabei hieb er ihm wieder mit den nicht vorhandenen Sporen in die Weichen.
Und siehe da, es ging. Das Pferdchen schaukelte schneller, erhielt eine solche Geschwindigkeit, daß es Harryo vorübergehend schwindlig wurde. Das Zimmer verschwamm vor seinen Augen, die Möbel und die bunten Bettücher lösten sich in trübe Nebelflecken auf, die Unordnung verschwand.
Statt dessen öffnete sich vor dem Jungen ein helles Fenster, durch das er auf eine grüne Fläche sah, die sich nach hinten gegen den Himmel erhob. Das Grün war saftig und leuchtete, doch für Harryo kam der Wechsel vom Kunstlicht seiner Wohnungswelt zu dieser fremden Landschaft zu unvorbereitet. Er zügelte sein Mähnchen, bremste es ab, während er mit geschlossenen Augen darauf wartete, daß die seltsamen Eindrücke, die seine Augen empfangen hatten, verblaßten.
Harryo stieg vom Schaukelpferd in die Unordnung seines Zimmers hinunter, die ihn deutlich daran erinnerte, daß er aufzuräumen hatte. Er tat es mit liebevollen Seitenblicken auf sein Pferdchen und neugierigem Grübeln, was er da beim Reiten soeben erlebt hatte. Er fand keine befriedigende Antwort und suchte Zuflucht in dem Argument, das er von den Erwachsenen her am besten kannte.
Du wirst geträumt haben, sagte er sich und beschloß, nichts über seine Beobachtungen zu erzählen. Er war ein Reiter und wollte sich nicht blamieren.
Erstaunlicherweise merkte es Großmutter als erste, daß er etwas mit sich herumtrug, ohne es mitteilen zu wollen. Doch so erstaunlich war es gar nicht. Sie merkte vieles, wo Sarha und Horho nie im Leben dahintergekommen wären.
Linda teilte ihrer Tochter die Beobachtung mit. Sarha ging in seiner Gegenwart in das Wohnzimmer hinüber, zog ein Buch aus dem Schrank, blätterte darin, las.
»Es ist nichts«, sagte sie dann. »Bollerdyke erklärt das ganz normal. Kinder haben das in diesem Alter. Sie sehen etwas, oder bilden es sich ein, beschäftigen sich gedanklich damit, weil sie es nicht verstanden haben, und machen ein Geheimnis daraus, weil sie so wissend und klug sein wollen wie Erwachsene.«
Damit war für Sarha die Sache erledigt, Horho erfuhr überhaupt nie davon, und Linda schwieg.
Harryo eilte in sein Zimmer zurück. Die Worte seiner Mutter hatten ihn nachdenklich gemacht. Er hatte das Fenster wirklich nicht verstanden. Flugs setzte er sich auf sein Schaukelpferd und setzte es in Bewegung.
Da aber kam aus der Küche der Ruf Lindas: »Wir essen!«
Harryo hatte Hunger. Er sprang ab, und das Pferdchen schaukelte aus.
Mähnchen warf sich vor und zurück, der Junge machte die Bewegung mit. Er hielt sich fest in die schwarze Mähne verkrallt und beschleunigte seinen Ritt, so gut er konnte. Vergeblich wartete er darauf, daß die Umgebung seines Zimmers verschwimmen und er das Fenster sehen würde. Nichts dergleichen geschah.
Harryo warf das Tier aus glänzendem Material herum, riß an den roten Zügeln.
»Ho, Mähnchen, du schwarzer Rappe!« rief er wild, »beeile dich. Fliege wie der Wind!«
Unbewußt hieb er ihm die Absätze seiner Hausschuhe in die Schenkel. Und er bemerkte es und wußte von da an, wann das Pferdchen so schaukelte, daß das Fenster kam.
Mähnchen schaukelte schneller, ohne daß Harryo etwas dazu tun mußte. Im Gegenteil, er hatte nur noch dafür zu sorgen, daß er nicht herabfiel. Bei der hohen
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