Terror: Thriller (German Edition)
Er tippte mit dem Zeigefinger auf seine Kunstledermappe.
Marc und Kersting versuchten sich ihre Verblüffung nicht anmerken zu lassen.
Der Mann fuhr fort: »Die Strategie der Spannung besagt im Grunde: Man lässt Attentate einfach geschehen oder inszeniert sie selbst und schiebt sie dann dem politischen Gegner – in unserem Fall waren das die Linken – in die Schuhe. Dadurch bewirkt man zwei Dinge: Die Ideen des Gegners werden diskreditiert, die Bewegung verliert an Rückhalt in der Bevölkerung, und die Leute verlangen nach mehr Sicherheit, nach einem starken Staat.«
»Das heißt, staatliche Stellen haben Terrorakte gegen die eigene Bevölkerung begangen. Ist es das, was sie sagen?« Marc starrte den Mann fassungslos an.
»In einigen Fällen ja«, sagte der Mann, »was aber nicht heißt, dass es keinen extremistischen Terror gibt. Den gibt es natürlich. Die RAF zum Beispiel gab es. Die Frage ist nur, wie lange es sie gegeben hätte, wenn man ernsthaft daran interessiert gewesen wäre, ihr das Handwerk zu legen. Keine zwei Monate, vermute ich. Genau das Gleiche gilt im Übrigen für die Rechtsextremen. Es ist völlig egal, aus welcher Ecke der Terror kommt, solange er sich in die Strategie integrieren lässt.«
Eine Pause entstand. Marc hörte das Brummen des Kühlschranks aus der Küche.
»Bevor wir weiterreden: Ich muss einen Blick auf Ihre Unterlagen werfen, ja?«, sagte Kersting. »Ich muss wissen, woran ich bin.«
»Bitteschön.« Der Mann schob Kersting die Mappe zu. Während dieser die Mappe öffnete und die Papiere herausholte, versuchte Marc, sich zu sammeln.
»Wenn das stimmen sollte, was Sie uns hier erzählen, dann handelt es sich doch sicher um eines der bestgehüteten Geheimnisse, die man sich vorstellen kann.«
»Allerdings«, sagte der Mann. Ein gewisser Stolz war herauszuhören.
»Warum erzählen Sie uns davon? Sie brechen wahrscheinlich gerade Ihren Amtseid, der Sie zur Verschwiegenheit verpflichtet; Sie machen sich strafbar, vielleicht bringen Sie sich sogar in Gefahr? Immer vorausgesetzt, natürlich, es stimmt alles.«
Der Mann sah ihn ernst an.
»Es stimmt. Sie können sich darauf verlassen.«
»Warum tun Sie das?«, fragte Marc.
Der Mann neigte sich zu ihm nach vorn.
»Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht als reuiger Sünder hier, der kurz bevor er abtritt sein Gewissen erleichtern will, oder irgend so ein sentimentaler Quatsch. Ganz im Gegenteil. Ich halte unsere Strategie immer noch für absolut richtig, und der Verlauf der Geschichte hat uns recht gegeben.«
»Und die vielen Opfer? Wie zynisch ist denn das?«
»Wir waren im Krieg, junger Mann. Es war ein kalter Krieg, aber ein Krieg, und wir haben dafür gesorgt, dass kein heißer Krieg daraus geworden ist. Mit Leichenbergen bis zum Himmel hoch. Wir haben dafür gesorgt, dass Europa und ganz besonders Deutschland prosperierte wie nie zuvor. Ich bin stolz darauf, meinen Teil dazu beigetragen zu haben.«
»Umso unverständlicher für mich, dass Sie jetzt mit uns reden.« Marc blieb skeptisch. Zu ungeheuerlich klang das alles. Auf der anderen Seite: Was hatte er denn erwartet? All die Spuren, denen sie bisher nachgegangen waren – musste das nicht zwangsläufig auf etwas Ungeheuerliches hinauslaufen? Er warf einen Blick hinüber zu Kersting. Der war ganz in das Studium der Papiere vertieft. Jetzt legte er sie auf den Tisch.
»Das ist ja unglaublich«, sagte er mit leiser Stimme. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
»Ich spreche aus einem einzigen Grund mit Ihnen«, der Mann sah jetzt sehr ernst aus, »ich habe eine Verantwortung gegenüber diesem Land. Deutschland befindet sich mitten im ›War on terror‹. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob Sie die Strategie der Spannung einsetzen, um einen Krieg zu verhindern, oder ob Sie mit dieser Strategie einen Krieg rechtfertigen. Die Leute müssen wissen, was gelaufen ist und was immer noch läuft, sonst kommt es zur Katastrophe. Davon bin ich überzeugt.«
Er griff wieder in die Schale mit Erdnussflips. Sein Kauen war das einzige Geräusch im Raum – bis draußen eine Auto-Alarmanlage losging. Marc wandte sich um und spähte aus dem Fenster. Es musste seine E-Klasse sein. Klar. Er erhob sich. »Entschuldigen Sie, ich muss das mal kurz ausschalten. Und wenn ich zurückkomme, reden wir über den Mann mit dem Schnauzbart, in Ordnung?«
Der Mann nickte. »Ja, das machen wir.«
Marc ging zur Tür. Er zog sie nicht zu, sondern lehnte sie nur an. Er ging
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