Terror: Thriller (German Edition)
waren, musste es irgendwo einen Sender geben. Ein Windstoß vom Berg her brachte die Straßenlaterne über Marcs Kopf zum Schaukeln. Und er hörte ein Rascheln. Marc schaute hoch: Eine Ratte huschte über die Leitung, verharrte einen Augenblick wie ein waghalsiger Drahtseilkünstler mitten über der Straße und verschwand dann im Mauerwerk des gegenüberliegenden Hauses.
Er fröstelte, kreuzte die Arme über der Brust. Was machte er hier eigentlich? Conny hatte recht, er hätte im Haus bleiben, sich wieder unter die warme Decke kuscheln sollen. Sie waren gerade angekommen, suchten Erholung von der Großstadt, und er irrte hier frierend auf der Dorfstraße herum, mitten in der Nacht.
Er wollte eben umkehren, als er ein Geräusch hörte. Es kam aus dem Haus mit der arabischen Fernsehstimme. Sehr leise, aber er war sicher, etwas gehört zu haben. Er ging weiter auf das Haus zu. Da war das Geräusch wieder. Er konnte es nicht einordnen. Er ging zur Haustür – der mit dem Drahtgitter und der verblichenen 1 – und stellte fest, dass sie nur angelehnt war. Drinnen herrschte Finsternis. Es war unmöglich, irgendetwas zu erkennen. Er zögerte, lauschte. Dann drückte er die Tür ein Stück weit auf. Er spürte einen Widerstand und fuhr zurück. Hinter der Tür lag etwas. Es herrschte Totenstille. Sein Herz klopfte, und das Blut rauschte in seinen Ohren. Marc wartete, bis das Rauschen nachließ, und dann hörte er es: Direkt hinter der Tür, keine fünfzig Zentimeter von ihm entfernt, atmete ein Mensch. Panik überfiel ihn.
»Permesso!«, rief Marc, »Permesso!«, die Formel, mit der man in Italien um Erlaubnis fragt, bevor man ein Haus betritt. Völlig unangebracht, aber ihm fiel nichts Besseres ein.
»C’è qualcuno? Ist jemand da?« Aus der Dunkelheit drang ein Stöhnen zu ihm. Vorsichtig langte er durch den Türspalt, tastete an der Wand entlang, suchte nach einem Lichtschalter, fasste in etwas Feuchtes, Klebriges und zog die Hand erschrocken zurück. Dann fand er den Lichtschalter und sah, was das Feuchte auf seiner Hand war: Blut. Er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, bis sie so weit offen war, dass er durch den Spalt hindurchschlüpfen konnte. Ein strenger, beißender Geruch schlug ihm entgegen, so intensiv, dass ihm übel wurde. Die nackte Glühbirne, die in einer verdreckten Fassung von der Decke baumelte, warf ein unbarmherziges Licht auf die Szene. Vor ihm auf dem Boden lag ein Mann, der ihn voller Angst anstarrte. Seine aufgerissenen Augen schienen viel zu groß zu sein für das schmale Gesicht, von dem nicht viel zu sehen war vor lauter Blut. Über seinen Mund war schwarzes Tape geklebt, es sah so aus, als habe man ihm das Klebeband einmal um den Kopf gewickelt. Der Mann versuchte sich stöhnend auf die Ellbogen zu stützen, schien aber zu schwach zu sein. Er zitterte am ganzen Körper.
»Was ist passiert?« Marc beugte sich nach unten. Der Mann zuckte zurück. Sein Atem ging schnell. Er beulte das Klebeband aus und sog es ein. Aus – ein – aus – ein. Ein Pulsierendes schwarzes Herz. Marc bettete den Kopf des Mannes auf seine Oberschenkel und versuchte, das Klebeband zu lösen. Er spürte Wärme und Feuchtigkeit durch den Stoff seiner Jeans. Blut. Obwohl er sehr vorsichtig zu Werke ging, das Klebeband mit spitzen Fingern der rechten Hand langsam zu lösen versuchte, während er mit der linken Hand sacht gegen die Wange des Mannes drückte, war er sicher, dass die Prozedur schmerzhaft war. Aber der Mann reagierte nicht, er schien nichts zu spüren. Erst als Marc das Tape schließlich vom Mund des Mannes gelöst hatte, schnappte dieser gierig nach Luft. Seine Oberlippe war aufgeplatzt und blutete. Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln. Marc sah sich um. Sie befanden sich in einer winzigen Diele. Am anderen Ende, dort, wo die Füße des Mannes lagen, führte eine steile Treppe nach oben. Ein Paar Schuhe stand auf dem Fußboden, sonst war hier nichts. Die Wände waren nicht tapeziert, überall blätterte der Putz ab. Marc entdeckte Blutspritzer auf der Wand. Wer immer hier zugeschlagen hatte, er hatte es mit großer Wut und Brutalität getan. Marc musste an die Worte des Nachbarn denken. »Ich bring dich um«, hatte der geschrien, bevor er das Fenster zugeknallt hatte. Aber jetzt ging es erst einmal nicht um den Täter. Marc sah sich den blutverschmierten Kopf des Mannes an, der gerade stöhnend vor Schmerzen die Augen schloss.
Er war Nordafrikaner, vermutete Marc, vielleicht
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