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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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voller Abscheu auf die Zinnteller mit Essen, die heruntergebrannten Kerzen und die Tropfen Rum in kleinen Schüsseln gestarrt.
    Thomas Blanky war beileibe kein Naturphilosoph, aber er war von Kindesbeinen an ein Geschöpf der Arktis. Als Vollmatrose und später als Eislotse hatte er auf amerikanischen Walfängern gearbeitet, wenn ihn die Royal Navy nicht gebrauchen konnte, und kannte die polaren Regionen wie kein anderer Teilnehmer der Franklin-Expedition. Die Gegend hier war Blanky zwar fremd – seines Wissens hatte sich noch nie ein Schiff so weit südlich vom Lancaster-Sund und so weit westlich von der Boothia-Halbinsel entfernt, um fast ganz bis nach King-William-Land vorzudringen –, doch ansonsten waren ihm die furchtbaren arktischen Bedingungen so vertraut wie der Sommer in seinem Geburtsort Kent.
    Eigentlich noch vertrauter, überlegte Blanky. Er hatte schon seit achtundzwanzig Jahren keinen Sommer in Kent mehr erlebt.
    Das heulende Schneetreiben war ihm genauso geläufig wie die gefrorene Fläche aus Eiszinnen und grollenden Pressrücken, die die arme Terror nach oben schoben wie mit einem Ankerspill und sie dabei allmählich zerquetschten. Erst heute nach dem merkwürdigen Gottesdienst hatte ihn James Reid, Blankys Kollege von der Erebus , den er sehr schätzte, davon in Kenntnis gesetzt, dass das alte Flaggschiff nicht mehr lange durchhalten würde. Abgesehen davon, dass seine Kohlevorräte noch knapper waren, hatte das Eis Sir Johns Schiff auch mit einem wesentlich grimmigeren und erbarmungsloseren Griff gepackt als die Terror .
    Reid hatte ihm zugeflüstert, dass das Eis die Erebus , die nicht wie die Terror mit dem Bug, sondern mit dem Heck gefangen war, noch fester und schrecklicher zusammenstauchte, während
das knarrende, ächzende Schiff unaufhaltsam über den Spiegel der gefrorenen See gehoben wurde. Schon war das Ruder zersplittert und der Kiel so stark beschädigt, dass er nur mehr in einem Trockendock repariert werden konnte. Die Heckplatten waren gesprungen, im zehn Grad krängenden Heck stand drei Fuß hoch das Wasser, und nur mit Sandsäcken und Kofferdämmen konnte verhindert werden, dass der Seematsch in den Kesselraum eindrang. Die mächtigen Eichenbalken, die jahrzehntelangen Kriegsdienst überdauert hatten, drohten zu zerbersten. Schlimmer noch, aus dem Spinnennetz von Eisenstützen, das 1845 eingezogen worden war, um die Erebus unangreifbar für das Eis zu machen, drang inzwischen aufgrund des gewaltigen Drucks ein unablässiges Stöhnen. Von Zeit zu Zeit brachen dünnere Streben an den Nahtstellen mit dem Knall einer kleinen Kanone. Häufig geschah dies mitten in der Nacht, und die Männer fuhren in ihren Hängematten hoch und ließen sich leise fluchend wieder hineinsinken, nachdem sie den Ursprung des Geräuschs erkannt hatten. Kapitän Fitzjames stieg des Öfteren mit einigen Offizieren hinunter, um den Schaden zu begutachten. Die schwereren Stützen würden wohl halten, meinte Reid, aber nur um den Preis, dass sie irgendwann die sich zusammenziehenden Eichen- und Eisenschichten des Rumpfs durchstießen. Und wenn das passierte, würde das Schiff sinken, Eis hin oder her.
    Nach Auskunft des Eislotsen Reid war John Weekes, der Zimmermann des Flaggschiffs, den ganzen Tag und die halbe Nacht mit einem Arbeitstrupp von nicht weniger als zehn Männern unten in der Last und im Orlop, um das Schiff mit jeder festen Planke zu verstärken, die an Bord war oder in aller Stille von der Terror ausgeborgt wurde. Dennoch war das Gespinst aus Brettern, das sich über die Schiffswände zog, bestenfalls eine behelfsmäßige Instandsetzung. Falls die Erebus nicht bis spätestens April oder Mai freikam, so hatte Reid den Zimmermann zitiert, würde das Eis sie zerquetschen wie ein Ei.

    Mit Eis kannte sich Thomas Blanky aus. Im Frühsommer 1846 war er es gewesen, der Sir John und Kapitän Crozier nach Süden durch den langen, neuentdeckten Sund südlich der Barrow-Straße geleitet hatte. In den Logbüchern war dieser neue Fahrweg namenlos geblieben, doch einige bezeichneten ihn schon als Franklin-Straße, als müssten sie den Geist des alten Narren mit dieser Benennung dafür trösten, dass ihn ein Ungeheuer zerrissen hatte. Von seinem Platz im Großtopp hatte Blanky dem Rudergänger Warnungen zugerufen, während sich die Terror und die Erebus vorsichtig einen Weg durch über zweihundertfünfzig Meilen Eissee bahnten, in der die Fahrrinnen immer enger wurden und häufig in Sackgassen

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