Terror
mündeten.
Thomas Blanky war ein Meister seines Fachs. Er wusste, dass er einer der besten Eislotsen der Welt war. Von seinem gefährlichen Posten hoch droben im Großmast – auf diesen alten Mörserschiffen gab es keine Krähennester wie etwa auf gewöhnlichen Walfängern – konnte er auf eine Entfernung von acht Meilen den Unterschied zwischen Treibeis und Trümmereis erkennen. Noch im Schlaf in seiner Koje erkannte er, wenn aus dem Gluckern einer offenen Rinne das weiche Rauschen von Eisbrei oder das metallene Raspeln von Pfannkucheneis wurde. Auf den ersten Blick wusste er, welche Eisbergstücke eine Bedrohung für das Schiff darstellten und welche man durchstoßen konnte. Trotz seines Alters entdeckten seine Augen in einer blauweißen, sonnenfunkelnden See mühelos die blauweißen Eishümpel unter der Wasseroberfläche und erkannten sogar, welche von diesen Hümpeln nur scharf über den Rumpf scharren würden und welche dem Schiff gefährlich werden konnten wie ein richtiger Eisberg.
Blanky war stolz darauf, dass er und Reid es geschafft hatten, die Schiffe über zweihundertfünfzig Meilen weit nach Süden und zuletzt nach Westen zu führen. Aber er verfluchte sich auch und schalt sich einen Narren und Lumpen, weil er dazu beigetragen
hatte, dass sich die beiden Schiffe mit ihren einhundertsechsundzwanzig Mann Besatzung so weit von ihrem Winterquartier auf der Beechey-Insel entfernt hatten.
Stattdessen hätten die Schiffe von der Devon-Insel wieder hinauf in den Lancaster-Sund und dann weiter in die Baffin-Bucht fahren können, auch wenn sie davor vielleicht zwei oder gar drei kalte Sommer im Eis hätten ausharren müssen. Die kleine Bucht auf der Beechey-Insel hätte die Schiffe vor dem Eis aus der offenen See geschützt. Früher oder später wäre das Eis im Lancaster-Sund aufgetaut. Thomas Blanky kannte dieses Eis. Es war, wie man es vom arktischen Eis gewohnt war: hinterhältig, tödlich und jederzeit bereit, eine einzige falsche Entscheidung oder eine kurze Unachtsamkeit mit Vernichtung zu bestrafen. Aber es war berechenbar.
Doch dieses Eis hier, dachte Blanky, während er über das dunkle Heck stampfte, damit ihm die Füße nicht einfroren, und den Blick zu den Laternen backbord und steuerbord gleiten ließ, wo Berry und Handford mit ihren Flinten Wache schoben, dieses Eis war anders als alles, was er bisher erlebt hatte.
Er und Reid hatten Sir John und die anderen beiden Kapitäne vor fünfzehn Monaten gewarnt, kurz bevor die beiden Schiffe eingeschlossen wurden. Alles auf eine Karte setzen, hatte Blanky geraten und Kapitän Crozier in der Auffassung unterstützt, dass es höchste Zeit war, über Stag zu gehen, solange es noch die kleinsten Fahrrinnen gab, und mit Volldampf so nahe wie möglich an die Boothia-Halbinsel heranzumanövrieren. Damals, in jenem weit zurückliegenden September der vertanen Chancen, wäre das Wasser in der Nähe dieser Halbinsel, deren Ostküste zumindest alten Walfang- und Navy-Veteranen wie Blanky bekannt war, bestimmt noch eine Woche offen geblieben, vielleicht sogar zwei. Selbst wenn sie wegen der hügeligen Schollen und des alten Packeises nicht mit Dampfkraft die Küste hoch nach Norden hätten fahren können, hätte ihnen Ross’
King-William-Land eine unendlich bessere Deckung geboten, jene Landmasse, von der sie nach Leutnant Gores Schlittenexpedition im Frühsommer zu wissen glaubten, dass es sich um eine Insel handelte. So niedrig, eisig, windgepeitscht und blitzumzuckt diese auch sein mochte, hätte sie trotzdem die Schiffe vor den Schneestürmen, der Kälte und dem unaufhaltsamen Seeeis geschützt, die wie von Teufelshand gesandt unablässig aus dem Nordwesten heranbrandeten.
Eis wie dieses hatte Blanky noch nie gesehen. Einer der wenigen Vorteile von Packeis, selbst wenn das Schiff festsaß wie eine Büchsenkugel in einem Eisberg, war, dass es trieb . Die Schiffe, obwohl sie scheinbar reglos an Ort und Stelle verharrten, bewegten sich. Als Blanky 1836 auf dem amerikanischen Walfänger Pluribus als Eislotse arbeitete, brach am 27. August über Nacht der Winter herein. Der erfahrene amerikanische Kapitän, der nur ein Auge hatte, war genauso überrascht wie alle anderen, als das Schiff Hunderte von Meilen nördlich der Disko-Bucht eingeschlossen wurde.
Der folgende arktische Sommer war schlimm – fast so kalt wie der des Jahres 1847, in dem das Eis nicht geschmolzen war, die Luft sich nicht erwärmt hatte und weder Vögel noch andere Tiere zurückgekehrt
Weitere Kostenlose Bücher