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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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eiskalten Großen Messe als auch die Seeleute vorn in ihrem ein wenig wärmeren Mannschaftslogis machten mehrere halbherzige Versuche, Lieder anzustimmen, die aber jedes Mal schon nach wenigen Runden wieder erstarben. In den Verschlägen unten in der Last war nur noch so wenig Kohle, dass nicht einmal an Weihnachten zusätzlich geheizt werden konnte. Auch mit dem Lampenöl musste gespart werden, und so herrschte auf dem Unterdeck der Frohsinn eines von einigen flackernden Kerzen erleuchteten walisischen Bergwerks. Die Planken und Balken waren überzogen mit Eis, und aus den Decken und Wollkleidern der Männer wollte die Feuchtigkeit nicht mehr weichen. Überall huschten Ratten herum.
    Der Weinbrand hob die Laune ein wenig, aber nicht genug, um die buchstäbliche und gefühlsmäßige Düsternis zu vertreiben. Crozier kam nach vorn, um mit den Männern zu plaudern, und einige überreichten ihm sogar Geschenke: einen kleinen Beutel aufgesparten Tabak, einen geschnitzten Eisbären in vollem Lauf, in dessen übertrieben dargestelltem Gesicht die Angst stand – wohl als Spaß gedacht, aber gewiss auch nicht ganz ohne Beklommenheit überreicht, weil der Matrose immerhin fürchten musste, von dem strengen Kapitän wegen Fetischismus bestraft zu werden –, das ausgebesserte Unterhemd aus roter Wolle eines jüngst Verstorbenen, ein geschnitztes Schachspiel von Korporal Hopcraft – der stille, zurückhaltende Seesoldat von der Erebus , der zu Besuch auf dem Schwesterschiff war, war zum Korporal befördert worden, nachdem er durch den Angriff des Ungeheuers auf Sir Johns Bärenfalle im Juni acht gebrochene Rippen, ein zerschmettertes Schlüsselbein und einen ausgekugelten Arm davongetragen hatte. Der Kapitän bedankte sich händeschüttelnd und schulterklopfend, bevor er wieder in die Offiziersmesse zurückkehrte, wo die Stimmung ein wenig heiterer
war, da der Erste Leutnant Little überraschend zwei Flaschen Whiskey gestiftet hatte, die er fast drei Jahre lang versteckt hatte.
    Am Morgen des 26. Dezember flaute der Sturm ab. Auf dem Bug lagen die Schneewechten zwölf Fuß hoch und auf der Steuerbordseite des Vorschiffs sechs Fuß über dem Schanzkleid. Nachdem das Deck freigeschaufelt und der mit Eismalen bezeichnete Weg zwischen den Schiffen wieder geräumt war, machten sich die Männer an die Vorbereitungen für den zweiten Großen Venezianischen Karneval. Crozier vermutete, dass die Seeleute diesen Titel in Anlehnung an jenen ersten Kostümball gewählt hatten, an dem er bei Parrys verunglückter Polarreise im Jahr 1824 als Seekadett teilgenommen hatte.
    An diesem mitternachtsschwarzen Morgen des 26. Dezember überließen Crozier und der Erste Leutnant Edward Little die Aufsicht über die Arbeitstrupps Hodgson, Irving und Hornby und machten sich trotz der Schneeverwehungen auf den langen Weg zur Erebus. Ein wenig erschrocken stellte Crozier fest, dass Fitzjames noch weiter abgenommen hatte. Obwohl sich sein Steward sichtlich Mühe gegeben hatte, das Wams und die Hose einzunähen, waren sie ihm inzwischen mehrere Nummern zu groß. Noch bestürzter war Crozier allerdings, als er bemerkte, dass der Commander der Erebus die meiste Zeit gar nicht richtig bei der Sache war. Fitzjames wirkte zerstreut wie ein Mann, der nur dem Anschein nach einer Unterhaltung folgt, aber in Wirklichkeit der im Nachbarzimmer gespielten Musik lauscht.
    »Deine Leute streichen draußen auf dem Eis Leinwand an«, sagte Crozier. »Ich hab gesehen, dass sie große Fässer mit grüner, blauer und sogar schwarzer Farbe vorbereitet haben. Um bestes Segeltuch aus den Beständen zu bemalen. Findest du das in Ordnung, James?«
    Fitzjames lächelte abwesend. »Meinst du wirklich, dass wir dieses Segeltuch noch mal brauchen, Francis?«

    »Das will ich hoffen«, knirschte Crozier.
    Das aufreizend gelassene Lächeln des anderen Kapitäns blieb. »Du solltest dir unser Lastdeck ansehen, Francis. Ich weiß, wir waren erst vor gut einer Woche unten. Aber seitdem sind die Schäden noch viel schlimmer geworden. Die Erebus würde sich keine Stunde im offenen Wasser halten. Das Ruder ist völlig zertrümmert. Und das war schon unser Ersatzruder.«
    »Ein Ruder kann man auch behelfsmäßig bauen.« Crozier unterdrückte den Drang, mit den Zähnen zu mahlen und die Fäuste zu ballen. »Die gesprungenen Planken können von den Zimmerleuten repariert werden. Ich habe mir überlegt, dass wir vor dem Tauwetter im Frühjahr das Eis um die Schiffe herum acht Fuß tief

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