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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zu durchfahren.«
    Sir John Ross lehnte sich leicht zurück. Sein Griff umspannte Franklins Oberarm wie ein Schraubstock. »Es gibt also keinen Rettungsplan, kein auslaufbereites Schiff?«
    »Nein.«
    Ross packte nun auch noch Franklins anderen Arm und drückte so fest zu, dass der beleibte Kapitän fast zusammengezuckt wäre.
    »Also dann, mein Junge«, flüsterte Ross, »wenn wir bis 1848 nichts von Ihnen gehört haben, komme ich selbst, um nach Ihnen zu suchen, das schwöre ich.«
     
     
    Franklin schrak hoch.
    Er war schweißnass. Alles drehte sich vor seinen Augen, er fühlte sich merkwürdig schwach. Sein Herz klopfte heftig, und jeder Schlag hallte in ihm wider, als würde in seinem Schädel eine Glocke geläutet.
    Erschrocken blickte er an sich hinab. Die untere Hälfte seines Körpers war mit Seide bedeckt.
    »Was ist das?«, rief er beunruhigt. »Warum ist diese Fahne über mich gebreitet?«

    Bestürzt sprang Lady Jane auf. »Ich dachte, dir ist kalt, John. Du hast gezittert. Ich hab sie dir umgelegt, um dich zu wärmen.«
    »Mein Gott!«, rief Sir John Franklin. »Mein Gott, Weib, was hast du getan? Weißt du denn nicht, dass der Union Jack nur über Leichen gebreitet wird?«

3
Crozier
    70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
OKTOBER 1847
     
     
     
    A ls Kapitän Crozier die kurze Treppe zum Unterdeck hinabsteigt und die Doppeltür aufstößt, wirft ihn die plötzliche Wärme beinahe um. Die Heißwasserheizung ist zwar schon seit Stunden abgestellt, aber durch die Körperwärme von über fünfzig Männern und die Herdwärme vom Kochen ist die Temperatur auf dem Unterdeck immer noch hoch – knapp über dem Gefrierpunkt, und das heißt, es ist fünfundvierzig Grad wärmer als draußen. Dem Kapitän, der gerade eine halbe Stunde an Deck verbracht hat, kommt es vor, als hätte er in voller Kleidung ein Dampfbad betreten.
    Da er auf dem Weg hinunter zum Orlop- und zum Lastdeck ist, wo nicht geheizt wird, behält Crozier seine Kaltwetterplünnen an. Doch auch wenn er nicht lange in der Wärme des Unterdecks verweilen will, nimmt er sich einen Augenblick Zeit, um sich wie jeder gute Kapitän zu vergewissern, dass in der halben Stunde seiner Abwesenheit nicht alles zum Teufel gegangen ist.
    Obwohl dies das einzige Deck an Schiff ist, wo Menschen schlafen, essen und leben, ist es hier so finster wie in einem walisischen Bergwerk, da die kleinen Oberlichten auch tagsüber
zugeschneit sind und die Nacht mittlerweile zweiundzwanzig Stunden dauert. Hier und da werfen Waltranlampen, Laternen und Kerzen kleine Lichtkegel, doch meistens bahnen sich die Männer ihren Weg durch das Dunkel aus dem Gedächtnis und weichen geschickt den zahlreichen Hindernissen aus, die aus eingelagerten Lebensmitteln, Kleidern, Ausrüstung und schlummernden Kameraden in ihren Hängematten bestehen. Wenn alle Hängematten im Einsatz sind – jedem Mann stehen genau vierzehn Zoll zu –, bleiben nur noch zwei achtzehn Zoll breite Durchgänge an beiden Rumpfseiten.
    Doch im Moment sind nur wenige Hängematten aufgespannt  – Männer, die sich vor der Abendwache noch eine Mütze Schlaf gönnen. Das Gebrodel aus Gesprächen, Lachen, Fluchen, Husten und Mr. Diggles unermüdlichen Hantierungen und Schimpftiraden ist so laut, dass es sogar das Pressen und Ächzen des Eises übertönt.
    Die Schiffspläne weisen für das Unterdeck eine lichte Höhe von sieben Fuß aus, aber in Wirklichkeit beträgt der Abstand vom Boden bis zu den Gestellen mit ihren Tonnen von eingelagerten Bohlen und Brettern, die von den schweren Deckenbalken hängen, keine sechs Fuß. Die wenigen wirklich großgewachsenen Männer auf der Terror , wie etwa der Feigling Manson, der jetzt unten herumlungert, können sich hier nur in gekrümmter Haltung fortbewegen. Francis Crozier hat es leichter. Selbst mit Mütze und Schal muss er den Kopf nicht einziehen, wenn er sich umdreht.
    Rechter Hand von hier aus gesehen verläuft nach achtern eine Art niedriger, dunkler, schmaler Schacht: der Gang zum Offizierslogis, einem Gewirr von vierzehn winzigen Schlafkajüten und zwei beengten Messen für Offiziere und Deckoffiziere. Croziers Kajüte ist genauso klein wie die der anderen: sechs mal fünf Fuß. Der Kajütgang ist kaum zwei Fuß breit und kann immer nur von einem einzelnen Mann mit gebeugtem Kopf passiert
werden. Besonders wuchtige Männer müssen sich zur Seite drehen, um an den herunterhängenden Vorräten vorbei durch den schmalen Durchlass zu

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