Terror
ein Schiff erspäht.
Außerdem lagen in dieser Richtung auch Eskimosiedlungen, wie Crozier aus eigener Erfahrung wusste. 1819 hatte er sie gesehen, auf seiner ersten Reise in die Arktis mit William Edward
Parry, als er zweiundzwanzig war. Zwei Jahre später war er mit Parry in die Gegend zurückgekehrt, um die Passage zu finden, und zwei Jahre darauf abermals, immer noch auf der Suche nach der sagenumwobenen Nordwestdurchfahrt. Sechsundzwanzig Jahre später sollte diese Suche Sir John Franklin das Leben kosten.
Vielleicht kostet sie uns ja alle das Leben. Crozier schüttelte den Kopf, um diesen trübsinnigen Gedanken loszuwerden.
Die Sonne stand knapp über dem südlichen Horizont. Kurz bevor sie unterging, wollten sie ein frühes Abendessen zu sich nehmen. Danach mussten sie die Gurte erneut umschnallen und vom Nachmittag bis zum späten Abend weitere sechs bis acht Stunden durch die Dunkelheit marschieren, um das erste Seelager zu erreichen, das sie nach ungefähr einem Drittel der Strecke erwartete.
Außer dem Keuchen der Männer, dem Knarren von Leder und dem Schaben der Kufen war nichts mehr zu hören. Der Wind hatte völlig abgeflaut, doch im Zwielicht des Nachmittags wurde die Luft noch kälter. Über der Schlittenprozession hingen Atemwolken aus Eiskristallen wie langsam auseinanderbrechende Kugeln aus Gold.
Als sie sich dem hohen Pressrücken näherten, schloss Crozier zur Spitze des Zuges auf, um beim ersten Ziehen, Heben und Schieben mit Hand anlegen zu können. Den Blick auf die untergehende Sonne gerichtet, musste er daran denken, wie sehr er darum gekämpft hatte, einen Weg nach Boothia und zu den Walfängern aus der Baffin-Bucht zu finden.
Mit einunddreißig hatte Crozier Kapitän Parry ein viertes und letztes Mal in die arktischen Gewässer begleitet, diesmal mit dem Ziel, den Nordpol zu erreichen. Sie drangen so weit wie niemand zuvor und auch niemand nach ihnen in den Norden vor. Doch dann stießen sie auf festes Packeis, das sich bis zu den nördlichsten Grenzen der Welt erstreckte. Seither glaubte Francis
Crozier nicht mehr an das offene Polarmeer: Wenn jemand irgendwann den Pol erreichen sollte, dann nur mit Schlitten.
Vielleicht mit Schlitten, die nach Art der Eskimos von Hunden gezogen wurden.
In Grönland und an der Ostseite der Somerset-Insel hatte Crozier mit eigenen Augen gesehen, wie die Eingeborenen hinter diesen seltsamen Hunden dahinglitten. Dabei waren ihre Schlitten nach Begriffen der Royal Navy gar keine richtigen Schlitten, sondern nur windige Rodel. Sie bewegten sich viel schneller als Croziers Schlepptrupp.
Entscheidend für seinen Plan, nach Osten zu ziehen, war die Tatsache, dass sich irgendwo dort auf Boothia oder dahinter Eskimos befanden. Wie Lady Silence, die den Schlittentrupps von Leutnant Hodgson und Irving zum Terror -Lager gefolgt war, konnten sich die Eingeborenen in dieser gottverlassenen weißen Welt von der Jagd und vom Fischfang ernähren.
Anfang Februar hatte ihm Leutnant Irving gemeldet, dass er Lady Silence in ihrem Eishaus aufgestöbert hatte. Er schwor, dass er dort Robbenfleisch und Fisch gesehen hatte, es war ihm aber nicht gelungen zu erfahren, wie sie an diesen Proviant gelangt war. Daraufhin hatte Crozier mit dem Gedanken gespielt, das Mädchen mit der Pistole oder dem Messer zu bedrohen, um ihr das Geheimnis zu entreißen. Doch eigentlich hatte er von Anfang an gewusst, dass jeder solche Versuch zum Scheitern verurteilt war. Das Eskimoweib hätte nur die Lippen aufeinandergepresst und Crozier mit ihren dunklen Augen unverwandt angestarrt, bis ihm nichts anderes übriggeblieben wäre, als klein beizugeben oder seine Drohung in die Tat umzusetzen. Auf diese Weise konnte er nichts erreichen.
Also hatte er sie unbehelligt weiter in ihrem kleinen Schneehaus wohnen lassen und erlaubt, dass ihr Mr. Diggle ab und zu einen Zwieback oder einen anderen Bissen zusteckte. Und er hatte sich vorgenommen, nicht mehr an sie zu denken. Als der
Ausguck sie vergangene Woche einige Hundert Faden hinter Hodgsons und Irvings Transport gesichtet hatte, erschrak er darüber, dass sie noch am Leben war. Offenbar war ihm sein Vorhaben, sie zu vergessen, also geglückt. Doch er wusste auch, dass er immer noch von ihr träumte.
Wäre der Kapitän nicht so unsagbar müde gewesen, hätte er vielleicht ein wenig Stolz empfunden über die Gediegenheit und Haltbarkeit der verschiedenen Schlitten, die die Männer jetzt über das Eis zogen.
Schon ab der zweiten Märzwoche,
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