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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Blick geraubt hatte.
    In den vergangenen zwei Nächten hatte kaum einer der Männer ein Auge zugetan, auch wenn sie noch so erschöpft waren. In beiden Seelagern hatten sie keine Zelte aufbauen müssen, da dort schon seit Wochen acht Hollandzelte standen, deren Schäden durch Wind oder Schnee von dem jeweils nächsten durchkommenden Trupp sofort ausgebessert wurden.
    Die Schlafsäcke aus Rentierhaut für drei Leute waren weitaus wärmer als jene, die aus Decken der Hudson’s Bay Company zusammengenäht waren. Diese guten Schlafsäcke waren per Los vergeben worden.
    Crozier hatte an der Verlosung nicht teilgenommen. Nach seiner ersten Überquerung des Eises allerdings hatte er beim Betreten des Zelts, das er sich mit zwei Offizieren teilte, einen eigens für ihn geschneiderten Rentierschlafsack vorgefunden, den ihm sein Steward hingelegt hatte. Weder der kranke Jopson noch die Seeleute hielten es für angemessen, dass ihr Kapitän einen Schlafsack mit zwei anderen schnarchenden, furzenden Männern teilte. Crozier war so müde und dankbar gewesen, dass er keine Einwände erhob.
    Er hatte Jopson und die anderen auch nicht daran erinnert, dass es viel kälter war, wenn man allein in einem Schlafsack lag. Wenn man die Nacht überhaupt durchschlafen konnte, dann nur dank der Körperwärme der anderen.
    In den beiden Seelagern hatte Crozier erst gar nicht versucht, die Nacht durchzuschlafen.

    Alle zwei Stunden stand er auf und machte einen Rundgang, um sich zu vergewissern, dass sich die Wachen rechtzeitig abgelöst hatten. In der Nacht frischte der Wind auf, und die wachhabenden Männer kauerten sich schutzsuchend hinter hastig errichteten Schneewänden zusammen. Da sie ihre Deckung nicht verließen, hätten sie das Wesen aus dem Eis erst gesehen, wenn es ihnen auf die Füße getreten wäre.
    Aber es hatte sich nicht gezeigt.
    Wenn der Kapitän doch einmal kurz in unruhigen Schlummer fiel, suchten ihn die gleichen Alpträume heim, die ihn schon seit seiner Krankheit im Januar quälten. Manche Träume kehrten ständig wieder und ließen ihn so oft hochschrecken, dass er sich an Bruchstücke erinnern konnte. Halbwüchsige Mädchen bei einer spiritistischen Séance. M’Clintock und ein anderer Mann, die auf zwei Skelette in einem Boot starren, das eine in aufrechter Haltung und voll bekleidet mit Plünnen und Seemannsjacke, das andere nur noch ein Haufen verstreuter und abgenagter Knochen.
    Wenn er untertags benommen vor sich hin stapfte, fragte sich Crozier immer wieder, ob er eines dieser Skelette war.
    Doch der weitaus schlimmste Traum war der, in dem er als Junge oder als kranker, alter Mann nackt vor der Altarschranke in Memo Moiras verbotener Kirche kniete, während sich der riesenhafte, unmenschliche Priester – wassertropfend und in zerrissenen weißen Gewändern, durch die das rohe rote Fleisch eines Schwerverbrannten schimmerte – über ihn beugte und ihm seinen aasigen Atem ins Gesicht hauchte.
    Am 23. April erhoben sich die Männer um zwei Glasen der Morgenwache. Es war stockfinster. Die Sonne ging nicht vor vier Glasen der Vormittagswache auf. Noch immer wehte ein starker Wind, der an der braunen Leinwand der Hollandzelte rüttelte und ihnen in die Augen stach, als sie sich zum Frühstück hinkauerten.

    Eigentlich sollten die Seeleute ihr Essen mit Hilfe der kleinen Spirituskocher gründlich erhitzen. Doch selbst bei Windstille war es oft sehr schwer, diese Geräte in Gang zu bringen. Bei starkem Wind wie an diesem Morgen war es einfach nicht möglich, selbst wenn man das Risiko einging, die Kocherkartuschen im Zelt anzuzünden. In der Gewissheit, dass das Fleisch und Gemüse in den Goldner-Dosen bereits gekocht war, löffelten sie den eisstarren Brei direkt aus der Büchse. Sie waren ausgehungert und hatten einen endlosen Tag schwerster Plackerei vor sich.
    Goodsir – wie vor ihm schon die drei anderen Ärzte – hatte Crozier und Fitzjames immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es war, die Konserven, vor allem die Suppen, vor dem Verzehr zu erwärmen. Das Gemüse und das Fleisch, so hatte ihm der Arzt erklärt, waren schon vorgekocht, aber die Suppen, die zumeist aus billigen Pastinaken, Karotten und anderem Wurzelgemüse bestanden, waren »konzentriert« und mussten daher mit Wasser verdünnt und zum Kochen gebracht werden.
    Der Arzt konnte die Gifte nicht benennen, die in den Suppen  – und vielleicht auch im Fleisch und Gemüse – aus Goldners Fabrik lauerten, aber er wurde nicht müde

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