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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Schlafs ein wenig verengt, und so war einiges an Geschick nöthig, um die neun Boote ordnungsgemäß zu Wasser zu lassen. Doch schließlich gelang es. Die drey Walboote fuhren vorneweg. Die Spitze übernahm Capitain Crozier, im darauf folgenden Boot unter der Leitung des Unterleutnants Couch saß auch ich, den Befehl im dritten Walboot führte Steuermannsmaat William Bell. Dann kamen die vier Kutter, welche von Unterleutnant Robert Thomas, Bootsmann John Lane, Bootsmannsmaat Thomas Johnson und dem Zweyten Leutnant George Hodgson commandirt wurden. Das Ende bildeten die zwey Pinassen unter dem Befehl des Bootsmannsmaats Samuel Brown und des Ersten Unterleutnants Charles Des Voeux. Letzterer war nunmehr nach Capitain Crozier und Leutnant Little dritter Commandant unserer Expedition, und somit war ihm die Verantwortung zugefallen, das letzte Boot zu übernehmen.
    Die Witterung war kälter geworden, und es fiel leichter Schnee. Auch der Nebel hatte sich gelichtet und hing nun als tiefe Wolkenschicht kaum hundert Fuß über unseren Köpfen. Dies ermöglichte uns zwar einen viel freieren Blick als im Dunste des voraufgegangenen Tages, indeß ging von diesen Wolken eine bedrückende Stimmung aus, als bewegten wir uns in einem eigenthümlichen arctischen Ballsaale mit einem zerschmetterten weißen Marmorboden und einer niedrigen grauen Decke sammt aufgemalten Wolken.

    Als das neunte und letzte Boot ins Wasser glitt und seine Besatzung hineinstieg, unternahmen die Männer den kläglichen, traurigen Versuch zu einem Hurraschrei, da dies das erste Mal in fast zwey Jahren war, daß sich diese Tiefseematrosen im Wasser befanden, doch der Jubel erstarb ihnen auf den Lippen. Die Sorge um das Schicksal von Leutnant Littles Trupp war so groß, daß ihnen nicht ernstlich nach Hurrarufen zumuthe war.
    In den ersten anderthalb Stunden waren nur das Ächzen des Eises um uns herum und als Erwiderung ein gelegentliches Ächzen der Männer an den Rudern zu hören. Unterdessen hatte ich, der ich an der Fortbewegung des Bootes nicht mitzuwirken vermochte und damit eine todte Last war wie der bedauernswerte, immer noch athmende und in seinem Stupor verharrende David Leys, von meinem Sitz auf der Ducht hinter Mr. Couchs Platz am Bug die Gelegenheit, den geflüsterten Unterhaltungen zwischen den Rudergasten zu lauschen.
    »Little und die anderen müssen sich verirrt haben«, bemerkte ein Seemann namens Coombs.
    »Es ist ganz und gar ausgeschlossen, daß sich Leutnant Edward Little verirrt hat«, entgegnete Charles Best wüthend. »Er sitzt vielleicht fest, aber er hat sich nicht verirrt.«
    »Wie soll er denn festsitzen?«, wisperte Robert Ferrier, welcher am nächsten Ruder saß. »Die Fahrrinne ist doch offen. Und gestern war sie auch schon offen.«
    Aus der nächsten Reihe meldete sich Tom McConvey. »Vielleicht haben Leutnant Little und Mr. Reid einen offenen Weg bis hinunter zu Backs Fluss gefunden und haben einfach das Segel gehisst und sind weitergefahren. Ich schätze, sie sind schon dort … Bestimmt essen sie Lachs, der ihnen ins Boot gehüpft ist, und tauschen für Perlen Robbenspeck von den Eingeborenen ein.«
    Niemand entgegnete etwas auf diese wenig wahrscheinliche Behauptung. Nachdem am 24. April Leutnant Irving und acht der Wilden abgeschlachtet worden waren, löste schon die bloße Erwähnung von Eskimos stumme Bestürzung aus. Auch wenn sich die Männer verzweifelt nach
Hülfe und Rettung sehnten, betrachteten sie die Möglichkeit einer weiteren Begegnung mit den Einheimischen eher zagend als hoffnungsfroh. Der Durst nach Rache, darin sind sich Naturphilosophen und Seeleute einig, ist eine der allgemeinsten menschlichen Regungen.
    Zweyeinhalb Stunden nach dem Aufbruch aus unserem Lager gelangte Capitain Croziers Walboot aus der engen Rinne in ein Gebieth offenen Wassers. Die Männer im führenden Boote sowie auch dem meinigen stießen erfreute Rufe aus. Als wäre sie hinterlassen worden, um uns den Weg zu weisen, ragte am Ausgang der Fahrrinne eine lange Schiffsstake aufrecht aus dem Eise. Der nächtliche Schnee und der gefrierende Nieselregen hatten die Nordwestseite derselben mit einem weißen Gusse überzogen.
    Als unsere Boote jedoch dicht nacheinander die Öffnung passirten, erstarben die Rufe.
    Das Wasser war roth.
    Zur Linken und Rechten waren das flache Eis und die senkrechten Abbruchkanten mit karmesinfarbenen Flecken besudelt, welche nur von Blut stammen konnten. Der Anblick jagte mir einen Schauer nach dem anderen

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