Terror
letzte nur aus drei Schüssen bestand, ein Schuss weniger als bei den zwei vorausgegangenen.
Beim Krachen der ersten Salve nickte Leutnant Le Vesconte. Daraufhin entfernten Samuel Brown, John Weekes und James Rigden die Planken unter dem schweren Sarg, der jetzt nur noch an den drei Trossen hing. Nach der zweiten Salve wurde der Sarg so weit hinuntergelassen, dass er das schwarze Wasser berührte. Nach der dritten Salve wurden die Trossen langsam gefiert, bis der Mahagonisarg mit seiner Kupfertafel, auf dem nun auch Leutnant Gores Orden und Schwert lagen, vollkommen versunken war.
In dem eisigen Wasser bildete sich kurz ein Strudel, dann wurden die Trossen nach oben gezogen und beiseitegelegt, und das schwarze Geviert war leer. Die Nebensonnen im Süden waren verschwunden, nur noch eine einzige trübrote Sonne glomm am Himmel.
Schweigend brachen die Seeleute zu ihren Schiffen auf. Es war erst zwei Glasen der ersten Hundewache. Die meisten Männer freuten sich schon auf ihr Abendessen und ihre zweite Ration Grog.
Am nächsten Tag, Samstag, den 5. Juni, kauerten sich beide Mannschaften auf den Unterdecks ihrer Schiffe zusammen, als neuerlich ein arktisches Sommergewitter über sie hinwegfegte. Die Ausgucksposten wurden aus den Toppen gerufen, und
die wenigen Männer, die an Deck Wachdienst hatten, hielten sich von allen Metallgegenständen und Masten fern. Heftiger Donner dröhnte, immer wieder schlugen die aus dem Nebel zuckenden Blitze mit großen elektrischen Lichtbögen in die Blitzableiter auf den Masten und Kajütendächern ein, und Elmsfeuer kroch mit blauen Fingern über die Spieren und Wanten. Verstörte Posten, die nach der Wachablösung unter Deck kamen, erzählten ihren staunenden Maaten von rollenden und hüpfenden Kugelblitzen auf dem Eis. Später, als die Blitze und die elektrischen Lichterscheinungen in der Luft noch an Stärke zunahmen, meldeten die Erebus- Posten der Hundewache, dass draußen im Nebel bei den Hügelkämmen etwas Großes – weit größer als ein bloßer Eisbär – herumstrich, etwas, das immer nur kurz sichtbar wurde, wenn ein Blitz aufgleißte. Manchmal bewegte sich die Gestalt auf vier Beinen wie ein Bär. Dann wieder, so schworen sie, ging sie auf zwei Beinen, leicht wie ein Mensch. Auf jeden Fall schlich das Wesen um das Schiff herum.
Obwohl der Sonntag klar heraufdämmerte, fiel das Quecksilber auf minus dreiundzwanzig Grad. Sir John ließ der Besatzung des Schwesterschiffs bestellen, dass heute alle Mann zum Gottesdienst auf der Erebus zu erscheinen hatten.
Die Seeleute und Offiziere auf Sir Johns Schiff mussten regelmäßig jeden Sonntag zur heiligen Messe antreten, die er während der dunklen Wintermonate auf dem Unterdeck las, doch nur die frömmsten Matrosen von der Terror nahmen den weiten Hin- und Rückweg übers Eis auf sich, um Sir Johns Predigt zu lauschen. Da es in der Royal Navy sowohl nach der Tradition als auch nach der Vorschrift Pflicht war, las auch Kapitän Crozier sonntags die Messe. In Abwesenheit eines Schiffsgeistlichen war dies jedoch meist eine eher kurze Veranstaltung, die sich mitunter auf ein Vortragen der Schiffsordnung beschränkte und nur zwanzig Minuten dauerte statt Sir Johns begeisterten eineinhalb bis zwei Stunden.
Doch an diesem Sonntag gab es keine Wahl.
So führte Kapitän Crozier zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen Offiziere und Mannschaft übers Eis, diesmal allerdings mit Überröcken und Schals über den Uniformen. Bei ihrer Ankunft auf der Erebus stellten sie überrascht fest, dass der Gottesdienst an Deck stattfinden sollte und Sir John vom Achterdeck aus predigen wollte. Trotz des blassblauen Himmels über ihnen – kein goldenes Gewölbe aus Eiskristallen und auch keine symbolträchtigen Nebensonnen an diesem Tag –, war der Wind bitterkalt. Die einfachen Matrosen drängten sich in dem Bereich unter dem Achterdeck zusammen, um zumindest einen Anschein von Wärme zu haben, während sich die Offiziere beider Schiffe wie eine Schar vermummter Messdiener hinter Sir John auf der Wetterseite des Decks aufstellten. Die zwölf Seesoldaten hatten sich unter dem Kommando von Sergeant Bryant in Reih und Glied auf der Leeseite postiert, während sich die Unteroffiziere um den Großmast scharten.
Sir John stand am Kompasshaus, das mit demselben Union Jack bedeckt war wie Gores Sarg zwei Tage zuvor, um »dem Zwecke einer Kanzel zu entsprechen«, wie es die Schiffsordnung vorsah.
Seine Messe dauerte heute nur eine
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