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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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keineswegs genügend Platz, vor allem wenn zu den bereits auf der Planke aufgereihten kräftigen Hinterteilen noch Sir Johns breiter Achtersteven kam. Aber da Leutnant Le Vesconte stehen blieb und die Seesoldaten alle zur Seite rutschten, so weit es ging, fanden die sieben Männer so eben noch ausreichend Platz auf dem Stück Holz. Sir John stellte fest, dass er aus seiner erhöhten Position eine hervorragende Sicht aufs Eis hatte.
    In diesem Augenblick war Kapitän Sir John Franklin so glücklich wie nur selten in Gesellschaft von Männern. Er hatte Jahre gebraucht, um zu der Einsicht zu gelangen, dass er sich in der Gegenwart von Frauen viel wohler fühlte – in Gegenwart sowohl künstlerischer, überempfindlicher Frauen wie seiner ersten Gattin Eleanor als auch starker, unbezähmbarer Frauen wie seiner jetzigen Gemahlin Jane. Aber seit der Messe am Sonntag hatten ihn seine Offiziere und Seeleute öfter mit einem Lächeln, Nicken oder einem Blick aufrichtiger Anerkennung bedacht als je zuvor in seiner vierzigjährigen Laufbahn.
    Gewiss hatte er das Versprechen von zehn Gold-Sovereigns pro Mann – ganz zu schweigen von der Verdoppelung des
Handgelds, die für einen normalen Seemann dem Fünffachen einer Monatsheuer entsprach – aus einer für ihn völlig uncharakteristischen Aufwallung von Wohlgesonnenheit und Spontaneität heraus ausgesprochen. Aber Sir John verfügte über reichliche finanzielle Mittel, und sollten diese in den drei oder mehr Jahren seiner Abwesenheit gelitten haben, dann würde sicher Lady Jane mit ihrem Privatvermögen einspringen, um diese Ehrenschulden zu tilgen.
    Alles in allem, so überlegte Sir John, waren das Angebot einer finanziellen Belohnung und die überraschende Zuteilung von Grogrationen an Bord seines abstinenten Schiffs brillante Einfälle gewesen. Wie alle anderen war Sir John zutiefst erschüttert über den plötzlichen Tod von Graham Gore, einem der verheißungsvollsten jungen Offiziere der gesamten Flotte. Die schlimme Nachricht, dass es keine offenen Fahrrinnen im Eis gab, und die Gewissheit eines weiteren dunklen Winters hier draußen hatten auf alle niederdrückend gewirkt, aber mit dem Versprechen von zehn Gold-Sovereigns pro Mann und einem Feiertag auf beiden Schiffen hatte er dieses Problem zumindest fürs Erste überwunden.
    Natürlich gab es da noch jenes andere Problem, das ihm die vier Mediziner erst letzte Woche vorgelegt hatten: die Tatsache, dass anscheinend in zunehmendem Maße Lebensmittelkonserven verdorben waren, womöglich infolge mangelhafter Verlötung der Büchsen. Doch diese Frage hatte Sir John zunächst einmal zurückgestellt.
    In dem Schneegestöber über dem offenen Gelände wurde der kleine Kadaver in seiner gerinnenden und gefrierenden Blutlache auf dem Eis abwechselnd unsichtbar und wieder sichtbar. Auf den Pressrücken und Eishügeln der Umgebung bewegte sich nichts. Die Männer rechts von Sir John saßen entspannt da. Einer von ihnen kaute Tabak, die anderen hatten die Hände in den Fäustlingen auf die erhobenen Mündungen ihrer Büchsen
gelegt. Sir John wusste, dass diese Fäustlinge im Nu abgestreift sein würden, sollte sich Leutnant Gores Nemesis auf dem Eis zeigen.
    Er lächelte in sich hinein, als er merkte, dass er sich die Szene und diesen Augenblick einprägte für zukünftige Berichte an Jane, seine Tochter Eleanor und seine reizende Nichte Sophia. Das war eine Beschäftigung, der er sich in letzter Zeit häufig hingab. Er nahm die missliche Lage seiner Expedition als eine Reihe von Anekdoten wahr, die er für kommende Soireen mit seinen bezaubernden Damen sogar schon in Worte fasste – nicht zu viele natürlich, gerade genug, um der gebannten Aufmerksamkeit seiner Zuhörerinnen sicher zu sein. Dieser Tag – dieser absurde Bärenhinterhalt, die zusammengepferchten Männer, die Kameradschaft, der Geruch nach Waffenöl, Wolle und Tabak, sogar die finsteren grauen Wolken, das Schneetreiben und die leichte Anspannung beim Warten auf ihre Beute – würde ihm in den nächsten Jahren bestimmt gute Dienste leisten.
    Wie von ungefähr wandte Sir John den Blick weit nach links, vorbei an Leutnant Le Vescontes Schulter zu der Bestattungsgrube, die keine zwanzig Fuß vom südlichen Ende der Falle entfernt war. Längst war die Öffnung in der schwarzen See wieder zugefroren, und ein großer Teil des Kraters hatte sich mit Schneeverwehungen gefüllt. Der Anblick der Vertiefung im Eis rief die Erinnerung an den jungen Gore wach, und Sir

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