Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
John wurde das Herz schwer. Aber es war eine schöne Totenmesse gewesen. Er hatte sie mit Würde und in stolzer militärischer Haltung gelesen.
    Plötzlich bemerkte Sir John zwei schwarze Gegenstände, die an der tiefsten Stelle der Eissenke dicht nebeneinanderlagen. Dunkle Steine vielleicht? Knöpfe oder Münzen, die ein Seemann bei Leutnant Gores Bestattung vor genau einer Woche als Andenken hinterlassen hatte?
    Im schwachen, wechselnden Licht des Schneesturms schienen die winzigen schwarzen Kreise, die fast unsichtbar waren, wenn
man sie nicht scharf ins Auge fasste, Sir John mit einem Ausdruck vorwurfsvoller Trauer anzustarren. Er fragte sich, ob es sein konnte, dass bei all dem Schnee und Eis der letzten Tage aus irgendeiner Laune des Klimas heraus zwei kleine Löcher in der grauen Schicht geblieben waren, durch die nun das schwarze Wasser schimmerte.
    Die schwarzen Kreise blinzelten.
    »Äh … Sergeant …«, begann Sir John.
    Unvermittelt schien der ganze Boden des Bestattungskraters in tosende Bewegung zu geraten. Etwas Riesiges und Mächtiges schoss weiß und grau in die Höhe, stürzte auf die Falle zu und verschwand sogleich südlich der Leinwand, außerhalb des Sichtbereichs der Schießscharte.
    Den Seesoldaten, die nicht einmal sicher waren, was soeben passiert war, blieb keine Zeit zum Reagieren.
    Keine drei Fuß von Le Vesconte und Sir John entfernt wurde die Südseite der Falle von einem gigantischen Schlag getroffen, der das Eisengestell zerschmetterte und die Leinwand zerfetzte.
    Die Seesoldaten und Sir John sprangen auf, als sich über, hinter und neben ihnen schwarze Krallen, so lang wie Bowiemesser, durch das dicke Segeltuch bohrten. Alle schrien gleichzeitig. Dann breitete sich ein furchtbarer Aasgestank aus.
    Das Ungeheuer war hier, hier bei ihnen, und drohte sie mit seinen unmenschlichen Armen zu umfangen. Sergeant Bryant hob seine Büchse, doch ehe er schießen konnte, ging ein Luftzug durch den Raubtierdunst. Der Kopf des Sergeants flog von seinen Schultern hinaus durch die Schießscharte und schlitterte über das Eis.
    Le Vesconte brüllte, jemand gab einen Schuss ab – doch die Kugel traf nur einen Seesoldaten. Die Segeltuchdecke der Falle war verschwunden, und etwas Riesiges verdeckte den Himmel. Gerade als sich Sir John umdrehte, um durch die zerschlissene
Leinwand hinauszustürzen, durchzuckte ihn ein schrecklicher Schmerz unmittelbar unter den Knien.
    Dann verschwamm alles zu einem absurden Gewoge. Er hing verkehrt herum in der Luft und sah, dass die Männer aus der zerstörten Falle flogen und sich wie auseinanderspritzende Kegel über das Eis verstreuten. Wieder fiel ein Büchsenschuss, aber nur, weil der betreffende Seesoldat die Waffe von sich geworfen hatte und auf allen vieren zu entkommen suchte. Der Schmerz in Sir Johns Beinen wurde mit einem Mal unerträglich, er hörte ein Geräusch wie von splitternden Ästen, und dann wurde er nach vorn geschleudert, hinab in den Bestattungskrater, auf einen neuen schwarzen Kreis zu, der auf ihn wartete. Sein Kopf krachte durch die dünne Eisschicht wie eine Kricketkugel durch eine Fensterscheibe.
    Als er in das kalte Wasser tauchte, setzte Sir Johns wild schlagendes Herz aus. Er versuchte zu schreien, aber er atmete nur Salzwasser ein.
    Ich bin in der See. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich in der See. Wie seltsam.
    Dann ruderte er mit den Armen und drehte sich mehrmals um sich selbst, bis er merkte, wie die Fetzen seines zerrissenen Überrocks von ihm abglitten. Er spürte seine Beine nicht mehr und fand mit den Füßen keinen Halt im eiskalten Wasser. So pullte und paddelte Sir John mit Armen und Händen, ohne in der entsetzlichen Finsternis zu wissen, ob er sich zur Oberfläche hochkämpfte oder nur noch tiefer in das schwarze Wasser sank.
    Ich ertrinke. Jane, ich ertrinke. In den langen Jahren meines Dienstes für die Royal Navy habe ich mir viele Todesarten ausgemalt, mein Liebling, aber nie, dass ich ertrinken könnte.
    Sir Johns Kopf stieß gegen etwas Festes, und er hätte fast das Bewusstsein verloren. Unwillkürlich atmete er ein und bekam erneut Salzwasser in Mund und Lunge.
    Doch dann, meine Lieben, führte mich die Vorsehung an die Oberfläche
 – oder zumindest bis zu der dünnen Schicht Atemluft zwischen der See und den fünfzehn Fuß Eis über mir.
    Da sich seine Beine immer noch nicht bewegen wollten, drehte sich Sir John mit wild rudernden Armen auf den Rücken und scharrte mit den Fingern über das

Weitere Kostenlose Bücher