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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
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Harold freut sich schon tüchtig.“
    Sie verschwand wieder und putzte sich das Gesicht ab. In der Küche raschelte es, ein Streichholz flammte auf, und bald stand sie strahlend mit der großen, hell erleuchteten Torte im Kinderzimmer.
    „Oh Mami, das ist aber schön! Alles für Harold?“
    „Ja. Alles für meinen kleinen Harold-Schatz. Herzlichen Glückwunsch noch mal zum Geburtstag! Nun musst du aber alle Kerzen auf einmal auspusten, ja?“
    „Mami. Was bedeuten eigentlich die Kerzen?“
    Automatisch verkrampfte sich bei seinen heutigen Fragen ihr Magen, aber diese war ja ungefährlich.
    „Liebling. Jede Kerze bedeutet ein Jahr deines bisherigen Lebens.“
    Sie stellte den Kuchen vor ihm auf.
    „Oh ja, das hab ich ganz vergessen.“
    Die Kerzen ließen die Striemen des Küchentuchs auf seinen Wangen hell erstrahlen.
    Er holte tief Luft und glaubte insgeheim nicht, sie alle auf einmal auspusten zu können. Harold schaffte es tatsächlich nicht.
    Immer und immer wieder pustete er, ganz blau im stoppeligen Gesicht. Schweiß auf der faltigen Stirn.
    Am Ende hatte er es tatsächlich geschafft. Alle Kerzen waren erloschen.
    Es waren genau fünfundvierzig.
    Und es war ein schlechter Tag.
     
    Ende
     
     
    Happy Birthday – Teil zwei
     
    Vor einem Jahr dachte Elisabeth daran, ihr Leben bestehe nur noch darin, Kalenderblätter abzureißen, die Tageszeitung auf die des Vortages zu legen und den Stapel dann nach einer Woche in den Container zu werfen. Mit dem Gedanken, sie könne sich genauso gut dazulegen, lernte sie Cody kennen.
    Einundfünfzig sei doch kein Alter, sagten alle, als sei sie in einer Seifenoper und brauchte sich die Haare nur noch blau zu färben. Dann würde schon jemand kommen – so ab Folge drei.
    Hinter Elisabeth lag aber schon mindestens Folge 489, keiner kam, und bald würde die Serie wegen mangelndem Interesse eingestellt werden. Vielleicht gäbe es später mal eine Nebenrolle für sie, als nette Oma zum Beispiel.
    Elisabeth war aber in keiner Seifenoper. Sie ging als Tippse zur Arbeit, kam abends nach Hause und legte die Zeitungen zusammen, und abgesehen vom Einkauf, blieb für sie dann sowieso nicht mehr viel zu tun. Mittwochs gab es das Lokalblatt, donnerstags die Fernsehzeitung. Also zwei wichtige Koordinaten, die ihr zeigten, wo in der Woche sie stand und was Elisabeth noch so zu erwarten hatte, vom Fernseher, natürlich.
    Ach ja, dann gab’s noch die Müllmänner am Montag. Sie erweckten Elisabeth polternd aus einem leeren Wochenende, das aus Hunderten von Talkshows bestand, die ihr nachmittags bereits verrieten, was es zum Thema Sex alles zu sagen gab. Vor allem, was andere zu sagen hatten. So überlegte sie sich, den Sex eventuell in den Vorruhestand zu schicken.
    Doch so einfach war das gar nicht; nachts kam er wieder, heißer und gieriger als je zuvor, und riesige poröse Zungen krochen unter ihrem Bett hervor und leckten an ihrem trockenen Körper. Es waren böse Zungen, die immer genau dann aufhörten zu lecken, wenn sie kurz vor dem Orgasmus war.
    Mit achtzehn hatte Elisabeth davon geträumt, ein eigenes Haus zu haben, darin zu leben und darin zu sterben. Nun hatte sie es – von Mutter geerbt –, und niemand war drin. Sie dachte immer, irgendwie würde es sich schon ergeben. Dass mal jemand für sie käme, so zum Miteinanderleben. Doch es ergab sich nicht.
    Ab und an in ihrer Jugend kam mal ein Freund vorbei: Vater, darf Robert eine Stunde länger bleiben? Und Vater schwieg, wie immer, wenn es um mehr ging als Autokauf und Spazierengehen. Mutter sah ihn zaghaft an und schwieg ebenfalls. Elisabeth wusste, dass Schweigen nein hieß.
    Und geschwiegen wurde viel. Da Robert und die wenigen, die nach ihm kamen, der Meinung waren, dass die Adenauer-Ära vorbei sei, verabschiedete man sich höflich für immer.
    Jahre später durfte sie beide pflegen: erst Vater, der schweigend starb, dann Mutter, die es ihm gleichtat, und nichts hatte sich ergeben.
    Als sie das begriffen hatte, schrie Elisabeth erst einmal tüchtig ihren Wohnzimmerschrank an. Von Vater vermacht. Immer vermachte ihr jemand etwas, aber keiner blieb. Robust war der Schrank, robust und leer, so wie Vater selber. Der Schrank war auf einmal Vater. Die mittlere Schublade war nicht zu öffnen, ebenso wenig wie Vaters Mund zu Lebzeiten nicht aufging. Elisabeth schrie den Schrank zwanzig Minuten lang an, holte aus der Kammer die Axt und zertrümmerte ihn systematisch. Kein Hieb traf zweimal dieselbe Stelle. Nur einmal hielt sie

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