Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
gegen die Pfeiler schlugen.
Zwei Brücken lagen in normaler Höhe, andere wiederum achtzig, vielleicht über hundert Meter hoch, so dass mir ein Nutzwert völlig unmöglich erschien. Eine schreckliche Sekunde lang dachte ich, dass die Brücken in Wahrheit eine Art Fallgitter seien, die etwas, was unter ihnen im Wasser lauerte, gefangen hielten. Jedoch hörte ich nun auf, in architektonischen Maßstäben zu denken, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich im Zustand völliger Panik und noch größerer Verlassenheit befand. Der psychische Bruch in mir, von einer Straße, wie der vorigen, zu einem Ort wie diesem zu gelangen, war einfach zu groß. Es gab keinen Übergang dorthin. So, als hätte ich ein Haus betreten, sechs Stockwerke erklommen, eine Wohnungstür geöffnet, um mich dann wieder auf der Straße wiederzufinden. Ich war wie ein Mensch im Mittelalter, der nur nicht zu nahe an den Rand der Erde herankommen wollte, weil er sonst in den Abgrund des Alls gefallen wäre. Ich sprach gerade von einem psychischen »Bruch«. Diese unheiligen Brücken symbolisierten ihn auf groteske Weise. »Grotesk« ist wiederum nicht exakt ausgedrückt, beinhaltet es doch ein gewisses Maß an Humor. Das hier bedeutete das Ende von Humor und Hoffnung. Die Landschaft war einfach zu monströs, und mir schlotterten die Knie angesichts der lauernden Fluten unter mir, die stetig höher und gewaltiger anstiegen. Die Farbe des Wassers war nunmehr braun, die Substanz schwammig. Die schleimigen Wellen gaben schmatzende, gurgelnde Geräusche von sich. Eine Kloake des Entsetzens. Ich stand inmitten einer dieser gigantischen, unseligen Konstruktionen aus morschem Eisen und wollte den Himmel anschreien. Ich blickte nach oben, und hätte beinahe vor Hysterie laut aufgelacht, denn der Himmel war das genaue Abbild der Fluten unter mir. Die Wolkenfetzen von gleicher Farbe, von gleicher, braun-schwarzer Wollust, und gefährlicher, träger Intensität. Ja, ich glaubte, auch der Himmel gäbe die gleichen glucksenden Töne, wie das Wasser unter den Brücken, wider. In meinem Hals würgte es. So beschloss ich in meiner Angst, zu dem Ort zurückzukehren, der mir noch vor wenigen Minuten als der unheiligste der Welt vorgekommen war. Ich rannte wie von Sinnen zurück, und wusste dabei, wie sich Menschen mit Höhenangst fühlen müssen. So vermied ich es, mit dem schleimigen Geländer in Berührung zu kommen, hielt mich mehr in Brückenmitte, wo es schon bedenklich knirschte. Und vor allem nicht nach unten sehen, vor allem nicht nach oben sehen. Vor allem nicht ... Ja, wohin konnte ich überhaupt noch sehen?
Mich überfiel wieder diese dunkle Beklemmung. Von dieser Landschaft ging Verderben aus, etwas zutiefst Böses und Destruktives. Mein Kampf dagegen, war ein Kampf gegen etwas Unsichtbares, weitaus Bedrohlicheres, als ein sichtbarer Gegner. Ich musste wieder von Mauern umgeben werden, auch wenn hinter diesen keine Menschen lebten, und wenn dort welche lebten, würde ich sie nie zu Gesicht bekommen, denn ihre Aufgabe war es, mich unsichtbar zu beschatten. Ich musste Steine, Schutz um mich haben, denn dies hier war der Ort völliger Auflösung. Experiment in Terror fiel mir ein; ein Instrumentallied aus den sechziger Jahren. Ich hörte es als Kind, konnte dabei indes weder etwas Experimentelles noch Terroristisches entdecken. Aber dieses Bild hier - wäre ich ein Maler gewesen, der sich ausschließlich als Chronist des Schreckens versteht - hätte dieses Bild »Experiment in Terror« genannt. Falls überhaupt ein Mensch dazu fähig ist, Verlassenheit und Bedrohung so darzustellen. Vielleicht auch: »Ohne Titel«, damit sich jeder Betrachter, so er fähig ist, dem Werk länger als ein paar Sekunden standzuhalten, seinen eigenen Alptraumtitel darunter hängen könnte. Himmel und Wellen hatten mich hypnotisiert, ebenso die Nieten, die in sich eingefallenen Metallaugen der Brücke, die mich noch trug. Denn wenige Meter vor deren Ende, spürte ich braune Schlieren, die sich durch mein Hirn zogen und jedwedes Denken für einige Zeit unmöglich machten. Die Schlieren schwappten hin und her, und einen irren Augenblick lang dachte ich, das brackige Wasser käme mir zu den Ohren heraus. Es gelang mir, kriechend zu meiner Ausgangsstraße zurückzukehren, denn meine Beine zitterten zu sehr. Jacke und Hemd waren völlig zerrissen, ebenso wie meine Haut, und ich blutete aus mehreren Schürfwunden. Dann rappelte ich mich wieder auf, um erneut auf die
Weitere Kostenlose Bücher