Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
veraltet wie gute Gespräche bei Tisch, die durch ständiges hinstarren ins IPhone ersetzt werden. Man hörte dem anderen nicht mehr zu (zumindest nicht lange), sondern glotzte ständig aufs Display, gackerte und zeigte Bildchen. Frei nach dem Motto: Bist du im iPhone, oder lebst du noch? Früher hieß es: ich denke, also bin ich. Und heute: ich glotze, darum bin ich. Man schrieb sich gerne SMS: du, ich bin so einsam! währenddessen hinter einem die schönsten Frauen herumliefen und die gleiche Botschaft ins Handy tippten. Man sah jetzt nur noch Unterschichten-Fernsehen, also RTL und Co, die brüllend ihre Werbung und Filmchen und billigen Soaps mit dem Vorschlaghammer präsentieren, weil sonst niemand etwas kapiert. Arte und 3Sat waren verpönt. Und war es nicht das Privatfernsehen, das ständig schreiend Werbung für LightFire gemacht hat? Als es zu spät war, wurden die Werbeblocks eingestellt, aber da kamen auch schon die ersten Untoten aus den Kanälen gekrochen. Das alles waren nur Gerüchte, und da ich die Spaßgesellschaft sowieso hasse, übernahm ich wieder die Rolle, die ich am besten beherrsche, die, des arroganten Arschlochs. Nach ein paar Monaten änderte sich die Situation schlagartig. Die Patienten verschwanden einfach von der Bildfläche, aber dafür krochen Kreaturen aus den Sümpfen hinter Samara, denen selbst das SEK nichts anhaben konnte. Man sagt, dass sich die Beamten plötzlich selber in Zombies – oder wie soll ich diese Monster nennen?, verwandelt haben. Und dann verschwanden auch noch die Kamerateams. Der Regierung war das peinlich, und man verhängte eine Nachrichtensperre. Zu spät kam sie auf die Idee, dass LightFire dahinter stecken könnte. Das Dumme war, dass man die Droge leicht selber herstellen konnte. Und so blühte der Schwarzmarkt in Samara, das ich wegen meiner Halluzinationen nun Wahnhalla nenne. Passt ja auch gut zum Wagnerjahr! Wahnfried, so nannte Richard W. sein Refugium, in das er sich in Bayreuth jedes Mal zurückgezogen hatte, wenn ihm die Welt, seine Ideen, einfach zu viel waren. „Wo mein Wahn zur Ruhe kam!“ Ich kam an einem Bistro namens Malpaso vorbei. Es schien, als seien die Tische eben erst gedeckt worden, denn es dampfte noch in den Kaffeetassen, auf einem beinahe geleerten Ginglas haftete noch der Abdruck eines roten Mundes. Vor dem Lokal parkten ein paar vor sich hingrinsende Cabrios, deren Kühlerhauben noch Wärme von sich gaben. War es Herbst, war es Sommer? Wo war es - wo ist es? Oder ist es gar Frühling? Lange kann ich dieses distanzierte Wiederkäuen der Geschehnisse nicht mehr aufrechterhalten, und wären die Umstände nicht so, wie sie sind, hätte ich mich schon vor Stunden umgebracht, aber ich weiß inzwischen nicht mehr, wen ich damit meine. Der Anblick der seltsamen Bahnhofsuhr verstörte mich nun vollends, so überquerte ich einen mit Kastanien angelegten Platz, in dem sich ein Dutzend Straßen trafen. Große, verlassene Straßen. Eilig bog ich um die nächste Ecke, in der Hoffnung, dort wenigstens ein paar Menschen zu begegnen. Niemand zeigte sich, indes wusste ich mit absoluter Gewissheit, dass mich Tausende von Augen beobachteten. Der Ort war verlassen, aber kein Mensch war gegangen. »Hey, kommt raus! « gab ich krächzend von mir, konnte aber noch nicht mal mein eigenes Echo in diesen Häuserschluchten hören. Als ich die nächste Ecke umquerte, standen vor mir nicht die erwarteten Häuser und Boulevards. Vor mir erstreckte sich etwas, das mich veranlasste, mich sogleich zu übergeben. Ich entleerte mich also, und es schien, als sei dies genau das, was die Stadt von sich - und von mir - erwartet hatte. Vor meinen Augen lagen keine neuen Straßenzüge, vor meinen Augen erstreckte sich ein riesiges, von schwarzen Wogen überflutetes Brachland, das von zehn alten, verrosteten Brücken überspannt war. Bucklige, vermoderte Brücken in unterschiedlicher Höhe, doch alle so lang, dass ich deren Ende nur erahnen konnte. Sie sahen aus, als hätten sie noch vor kurzem jahrelang unter Wasser gelegen und seien nur für kurze Zeit - nur um mich in Empfang zu nehmen - nach oben gezogen worden. Sie waren mit Algen bewachsen, und zwischen ihren morschen Verstrebungen tropfte schwarzer Schlamm. Drei von ihnen schwebten völlig unsinnig in einer Höhe von wenigen Zentimetern über der sumpfigen Wiese. Ich stand auf einer der Brücken, und unter mir raste ein großer Fluss ohne erkennbares Ufer entlang, dessen anthrazithfarbige Wellen obszön
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