Tesarenland (German Edition)
Kissen und sie fängt an zu niesen.
Luca zögert, setzt sich neben Kayla und zieht ein großes gezacktes Messer aus der Beintasche seiner Hose. »Mein Onkel führt eine solche Gruppe an.« Ich erstarre in der Bewegung und sehe Luca fassungslos an. Wie kann er sowas erzählen? Kayla wird ihm am Ende noch glauben. Ich will nicht, dass sie sich falsche Hoffnungen macht.
Aber Luca schaut mich völlig ernst an, so als wüsste er genau, wovon er spricht. Sein Blick ruht auf meinem Gesicht und er nickt mir zu.
»Was?«, schreit Kayla aufgeregt und ich presse vor Schreck meine Hände auf den Mund, weil ich auch laut schreien möchte. Und dann bricht die Wahrheit über mir herein, wie eine Welle eiskaltes Wasser.
Ich habe gedacht, Luca wäre in der Tesarenstadt aufgewachsen, aber er trägt kein Mal. Er kennt sich in den Wäldern aus, als wäre er dort zuhause. Er kennt sich in dieser Hütte aus, weiß, was für Gegenstände sich hier befinden und wozu man sie benutzt. Es hieß doch immer, es gäbe keine Menschen mehr da draußen, wir Kolonisten und die Sklaven wären die letzten. Wenn es da draußen noch Menschen gibt, wieso helfen sie uns dann nicht? Warum lassen sie uns sterben? Ich balle meine Hände zu Fäusten und vergrabe sie in meinen Achseln, weil ich sie Luca sonst in die Brust rammen würde. Während er dort draußen in Freiheit aufgewachsen ist, haben wir jeden Tag ums Überleben gekämpft.
»Darf ich sie sehen ?« Kayla hüpft jetzt noch heftiger auf und ab. Ihre Begeisterung stößt mir sauer auf.
»Warum haben sie uns nicht befreit ?«, will ich wissen. Ich schaue stur an Luca vorbei, ich will ihn nicht ansehen. Wenn ich mich jetzt in seinen dunklen Augen verlieren würde, würde ich die Wut, die in meinem Magen arbeitet vielleicht vergessen. Und ich bin wütend, weil ich mich im Stich gelassen fühle. Weil ich mich betrogen fühle. Betrogen um ein Leben in Freiheit. Ein Leben ohne die ständige Bedrohung durch Hunger und Tod.
»Das haben wir versucht. Wir versuchen es immer wieder .« Lucas Stimme klingt jetzt brüchig. »Mein Vater wurde bei einem dieser Versuche getötet und ich gefangen.«
Ich sehe ihn erschrocken an. Er senkt den Blick und wendet sein Gesicht von mir ab. Jetzt weiß ich, wie Luca nach Kolonie D gekommen ist. Aber ich kann es mir nicht richtig erklären. Ist er mit seinem Vater gekommen und hat versucht, den Lichtzaun zu zerstören, um uns zu befreien? Er und sein Vater? Hatte er sich nicht denken können, dass das nicht klappen wird?
»Bist du so nach Kolonie D gekommen ?« Kayla schaut zu Luca auf, als wäre er ein leckeres Stück Fleisch. Für sie ist er jemand Besonderes. Ich weiß nur, wenn die Menschen da draußen uns befreit hätten, dann könnte Vater noch leben. Und Mutter auch? Dann wäre Kayla jetzt nicht krank.
Im Moment kann ich Luca nicht bewundern. Ich hätte immer gedacht, wenn es außerhalb der Kolonien noch Menschen geben würde, würden sie alles daran setzen, um uns zu befreien. Sein Vater und er haben es vielleicht versucht, aber das reicht nicht.
Ich drücke Kayla nieder, als sie anfängt zu husten. Luca kramt aus ihrem Beutel die Wasserflasche hervor und reicht sie mir. Als das Husten nachlässt, nimmt Kayla die Hände vom Mund. Mir gleitet die Flasche aus den Händen. Sie landet auf dem dreckigen Boden. Das Wasser läuft heraus und verbindet sich mit dem Schmutz zu einer schlierigen, dunklen Masse. Mein Blick huscht wieder zu Kaylas Gesicht.
Da ist Blut an ihren Lippen, Blut in ihren Handflächen. Ich ziehe scharf die Luft ein und will Kayla in die Arme nehmen, weil es mir solche Angst macht, sie so zu sehen. Das Blut auf ihren rauen, blassen Lippen erinnert mich an Samuel. Wird auch bei Kayla bald Schaum aus dem Mund kommen?
Luca blickt mich ernst an und schüttelt den Kopf, weil meine Schwester es noch nicht bemerkt hat. Er hat recht, wir sollten sie nicht beunruhigen. Schnell drücke ich ihr die Flasche an die Lippen und lasse sie trinken.
Luca nimmt ein Stück Stoff vom Boden und macht es mit Wasser aus seiner Flasche feucht. Er reicht es mir, zieht das Messer zu sich heran und zeigt es Kayla. »Siehst du das? Das ist ein Jagdmesser«, sagt er. Ich verstehe, er will sie ablenken.
Ich greife schnell nach Kaylas Händen und wische sie sauber. Sie schaut mich verwirrt an und ich zucke nur mit den Schultern. »Willst du etwa mit schmutzigen Fingern essen?«, fragt Luca. »Dort im Schrank sind eine Menge Konserven.« Schon wieder hat Luca mich gerettet.
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