Tessa
schlecht bin.«
»So schlecht bin? Hmm. Was meinen Sie damit, Frau Behn?«
»Ich benehme mich schlecht.«
»Sie benehmen sich schlecht?«
»Sag ich doch.«
»Sie wissen doch aber, dass wir nur von einem bestmöglichen Resultat ausgehen können, wenn sie die Tabletten regelmäßig nehmen.«
»Kann ich nicht nur einmal am Tag und dann die doppelte Dosis nehmen? Es ist so schwer, morgens und abends daran zu denken, mein Rhythmus ist zur Zeit etwas gestört.«
»Nein, aber warten Sie.« Sie schaut erneut in den Computer. »Ihre Lithiumwerte waren bei der letzten Blutuntersuchung zwar im Durchschnitt, aber wir können sie ruhig noch ein wenig erhöhen. Morgens eine und abends anderthalb. Nehmen Sie noch das Antidepressivum?«
»Ja, sechzig Milligramm Citalopram. Aber die sind jetzt auch alle.«
»Da sollten Sie ein wenig mit runtergehen. Das kann die manischen Phasen verstärken.«
»Nein, bitte nicht jetzt im Moment, mir geht es, wie gesagt, nicht gut. Ich würde gerne etwas mehr davon nehmen, damit ich wieder etwas besser in das Leben passe. Ich brauche ja wieder Jobs.«
»Ja, das kann ich verstehen, aber das Lithium erhöhen wir, ich schreibe Ihnen für beides ein Rezept. Und dann kommen Sie bitte in zwei Wochen zur Blutabnahme, um den Lithiumwert in Ihrem Blut zu messen. Und machen Sie sich bitte einen Gesprächstermin in vier Wochen?«
»Könnten Sie mir noch etwas verschreiben gegen die Angstzustände?«
»Welche Angstzustände?«
»Na ja, ich habe solche Angst, in dieses schwarze Loch zu stürzen. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, über einen Abgrund zu springen. Immer hin und her, und ich habe Angst, in das Loch zu fallen. Während der Sprünge fühle ich mich glücklich, aber wenn ich dann auf der anderen Seite angekommen bin, kann ich einfach nicht weiter. Ich muss mich umdrehen und weiterspringen. Und dann bin ich so müde. Ich will immer nur schlafen, liegt das vielleicht am Lithium? Außerdem bin ich so fett geworden.«
»Treiben Sie denn Sport?«
»Warum reden Sie die ganze Zeit von Sport? Das habe ich nie gemacht und war nie fett.«
»Sport würde Ihnen guttun.«
»Aber dafür habe ich keine Zeit. Und dann sind diese Fitnessstudios immer so voll mit diesen schrecklichen Menschen, und es ist auch viel zu teuer. Ich habe im Moment kein regelmäßiges Einkommen. Ich brauche nur etwas gegen die Angstzustände, damit ich schlafen kann. Und normal funktionieren kann. Mit dem Dickwerden kriege ich das vielleicht hin mit einer Diät. Das wird schon gehen, vielleicht einfach weniger Kohlehydrate.« Tessa lacht kurz auf.
»Gut, da verschreibe ich Ihnen noch eine kleine Menge Beruhigungsmittel. Aber nicht zu oft nehmen, nur im Notfall.« Sie gibt auch das in ihren Computer ein. Sie schaut auf, blickt ihr tief in die Augen. »Das versprechen Sie mir doch? Die machen nämlich schnell abhängig.«
In der Apotheke fühlt sie sich wieder gut. Das Rezept abgeben. Der kritische Blick des Apothekers über die halben Brillengläser, aber was soll der alte Mann schon denken? Geht ihn ja nichts an, was sie hier für Medikamente abholt. Auf dem Rückweg liest sie den Beipackzettel des neu verschriebenen Barbiturats. Sie sollte sich noch eine Flasche Wein kaufen. Ausgehen will sie nie mehr, aber alleine trinken ist okay. Sie könnte es sich gemütlich machen. Ihre Wohnung aufräumen. Die Telefoninterviews zu Ende bringen, damit sie eine Rechnung schreiben könnte und wieder Geld auf ihrem Konto hätte. Dann könnte sie die Miete zahlen. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter fällt ihr ein. Vielleicht erst den Rückruf machen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Wann war der Abgabetermin? Das wird sie herausfinden. Ja. Guter Plan. Doch bevor sie ihn ausführen kann, gießt sie sich, zu Hause angekommen, erst einmal ein Glas Wein ein. Um halb sechs ist sie betrunken und die Weinflasche leer. Ratlos starrt sie auf das leere Glas, als ihr der Gedanke kommt, das Schlafmittel zu nehmen, damit sie bis zum nächsten Morgen um acht schlafen kann, um dann die Aufgaben zu erledigen. Sie macht sich auf die Suche nach den Pillen. In ihrer Hand betrachtet sie das Barbiturat, das Antidepressivum und das Lithium. Schlucken und hoffen, dass es wirkt. Vielleicht gibt es auch noch irgendwo Alkohol im Kühlfach, den sie nur vergessen hat. Sie geht in die Küche, rammt sich vorher noch die Tischkante in den Oberschenkel, sie jault auf, der Schmerz lässt sie einknicken, aber das ist nichts, verglichen mit der
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