Tessa
bereits wieder ganz Charlotte zugewandt hat.
»Kennst du meinen Mann Jochen eigentlich?«, fragt sie.
Meinen Mann? Frieder ist verheiratet? Wo ist Nick eigentlich hin? Frieder nickt sachte in ihre Richtung, ohne seine Miene zu verziehen. Und sie blicken sich stumm an. Sie muss weg hier. Sie setzt ihr Glas an und versucht, es in angemessenen Schlucken auszutrinken, bevor sie sich umdreht und aufrecht zum Ausgang der Galerie läuft. Nicht umknicken. Nicht rennen. Draußen. Endlich. Die warme Nachtluft schlägt ihr entgegen. Sie lehnt sich an die Häuserwand und ärgert sich, auf dem Weg kein neues Glas mitgenommen zu haben, als Frieder plötzlich neben ihr steht.
Ihre Augen weit aufgerissen, sieht sie ihn an. »Was?«
Ein Auto fährt rückwärts an ihnen vorbei. Frieder erstrahlt im Scheinwerferlicht, ihr Schatten auf seinem Gesicht.
»Wollen wir ein Stückchen gehen?«, fragt er und sieht verlegen auf den Boden.
Sie will eigentlich nicht, nickt trotzdem und läuft los. Er neben ihr. Und die Situation scheint normal. Sie überlegt, was sie ihm sagen soll, aber ihr Kopf ist leer.
»Ich habe dich überall gesucht«, bricht er die Stille. Und bleibt stehen.
»Ach ja? Wo denn?« Sie bleibt auch stehen und dreht sich zu ihm.
»Können wir uns vielleicht sehen?«
»Wozu?« Sie will nicht. Was würde es auch bringen?
»Ich muss dich sehen.«
»Bist du verheiratet?«
»Ja.«
Sie blickt ihn ratlos an. »Warum willst du mich dann sehen?«
»Ich kann nicht anders. Gibst du mir deine Nummer?«
Sie schauen sich in die Augen. Jetzt oder vielleicht nie. Er sieht entschieden aus. Sein Gesicht ernst. Sein blondes Haar ist etwas kürzer. Ein ordentlicher Schnitt. Er sieht schön aus. Und vielleicht soll es ja so sein? Sie zögert, will eigentlich nicht, aber hört sich selber ihre Nummer sagen. Er lächelt sie an. Beugt sich zu ihr und küsst sie. Seine Lippen sind fester als die von Nick. Er dreht sich um, steckt seine Hände in die Hosentaschen und geht davon. Sie steht verlassen auf der Straße und sieht ihm verwirrt hinterher. Sie mag nicht zurück in die Galerie, mag nicht zurück zu Nick gehen und entschließt sich, nach Hause zu laufen. Beim Dönerladen kauft sie sich einen Sixpack Becks Gold, das macht nicht so dick, und eine Schachtel Kippen.
Und während sie eine Zigarette nach der anderen raucht, die leeren Bierflaschen sich neben ihr auf dem sauberen Boden aneinanderreihen, überkommt sie eine Sehnsucht nach Frieder. Ihr Handy klingelt mehrmals, aber immer wenn sie nachsieht, wer der Anrufer ist, entdeckt sie enttäuscht, dass es nur Nick ist. Mit ihm will sie nicht sprechen. Sie kann ihn jetzt einfach nicht sehen. Wozu? Tote Liebe. Es war ein Fehler, wieder mit ihm zu schlafen. Und bei dem Gedanken, dass nun endgültig mit ihm Schluss ist, fängt sie an zu heulen. Sie hockt auf ihrem Bett und schluchzt laut und voller Kraft vor sich hin. Als es anfängt, sie zu langweilen, schnieft sie noch ein paarmal und überlegt, was sie noch tun könnte. Sie steht auf und geht ins Bad, um das Bier auszukotzen. Anschließend wäscht sie sich gründlich die Hände und putzt ihre Zähne. Sie kann sich aber nicht durchringen, sich auch noch abzuschminken, also knallt sie nur fett Antifaltencreme ins Gesicht und verreibt damit die Wimperntusche auf ihren Lidern. Auf dem Weg ins Schlafzimmer greift sie ihr Handy, sieht vorsichtshalber noch einmal nach, ob sie auch keinen Anruf verpasst hat, und legt es auf den Nachttisch.
Am späten Vormittag wacht sie auf. Keine Kopfschmerzen, denkt sie erleichtert. Vielleicht sollte sie in der nächsten Zeit nur noch Becks Gold trinken. Sie schiebt die Gardine zur Seite. Der Himmel ist bedeckt, und ein angenehm kühler Wind weht durch die Wohnung. Sie dreht sich zu ihrem Nachttisch um. Ihr Handy liegt ruhig da. Sie streicht das zerwühlte Laken glatt und bemerkt ein paar Rotweinflecken. Sie sollte ihre Bettwäsche mal wieder wechseln, überlegt sie kurz, bevor sie den Gedanken weit von sich schiebt und sich zurück auf den Rücken dreht, um ihre Augen noch einmal zu schließen. Aber der Zustand des Wachseins ist stärker, und eine Unruhe überkommt sie. Sie dreht sich wieder zum Nachttisch und fixiert das Telefon, das nicht klingelt und den Raum zu dominieren scheint. Schließlich zwingt sie sich aufzustehen. Sie schleppt sich in die Küche, kramt nach ihren Medikamenten und nimmt die doppelte Dosis Antidepressiva, vielleicht hilft das, ihre Lustlosigkeit zu überwinden. Sie
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